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Survive

Survive

Titel: Survive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Morel
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das gerade geschrieben habe. Ich wette, du kannst nicht glauben, dass du das gerade gelesen hast. Ich wünschte, ich hätte dir etwas zu sagen, Paul, wie im Film. Da hat der Tote immer etwas zu sagen. Aber ich ziehe bloß Nieten. Ich bin froh, dass wir uns immer gut verstanden haben. Wir waren verschieden, aber wir waren immer Brüder. Ich weiß, dass Dad ein Idiot ist auf seine großartige Idiotenart. Er kapiert’s einfach nicht. Ich weiß. Ich hab dich das tausendmal sagen hören. Und weißt du, was er tausendmal zu mir gesagt hat? Paul kapiert’s nicht, er ist ein kompletter Schwachkopf. Nun ja, ihr seid beide verfluchte Schwachköpfe. Tu es für Johnny, Paul. Du weißt, was ich meine. Tu es für mich. Sei für mich Dads Freund. Ich liebe dich, Kleiner.

    Mach’s gut,

    Will.
    P. S. Hab dich doch noch drangekriegt.
    Poch, poch. Mein Herz rast.
    »Bist du angezogen? Darf ich reinkommen?«
    Ich stecke den Brief schnell zurück, schließe das Buch und lege es wieder genau an die Stelle, an der ich es gefunden habe. Ich tue so, als hätte er mich gerade geweckt.
    »Ja, ja, Entschuldigung, alles klar. Komm rein.«
    Paul drückt die Tür auf, schließt sie hinter sich und tritt dann behutsam neben mich.
    »Schlafen ist gut, aber wir haben nur für begrenzte Zeit Tageslicht. Lass uns aufbrechen.«
    »Wohin?«
    »Den Berg hinauf auf das Hochplateau, wo wir gesehen werden können. Es schneit nicht mehr – das Wetter ist umgeschlagen. Jetzt ist unsere beste Gelegenheit.«
    »Nein. Ich kann nicht.«
    Ich kann vermutlich wirklich keinen Berg hinaufklettern, aber was mir im Moment tatsächlich schwer auf der Seele liegt, ist etwas anderes: Ich bin schlicht und ergreifend einfach nicht in der Lage, etwas ohne einen Plan zu tun . Gerade haben wir uns hier noch ein Nest eingerichtet, und jetzt will er auf einen Berg klettern. Ich spüre, wie sich in mir wieder das alte Gefühl der Lähmung breitmacht, das mich all die Jahre gequält hat. Beweg dich einfach nicht, Jane. Wenn du dich nicht bewegst, wird nichts geschehen, und das ist besser, als wenn etwas Unerwartetes geschieht.
    »Doch, du kannst. Und du wirst auch, es sei denn, du willst allein in einer Klokabine sterben.«
    Er schließt die Tür, und im leisen Echo hallt eine Art Einsamkeit wider, die genauso beängstigend ist wie das Erklettern eines Berges.
    Der undankbare Macho in ihm ist zurückgekehrt.
    »Warte!«, rufe ich. »Gib mir eine Minute, dann komme ich.«
    Ich reiße mich zusammen und schaue kurz in den Spiegel. Hübsch ist es nicht, was ich da sehe, aber, he, die Konkurrenz hier oben hält sich ja wohl in Grenzen.
    Paul steht wartend da, Seile und Klettersachen um die Schultern geschlungen. Mit seiner Sonnenbrille und seiner Ausrüstung sieht er ein wenig aus wie ein Krieger vor der Schlacht.
    »Lass uns die Sache kurz bereden«, schlage ich vor.
    »Ich werde keine Zeit mit Gerede verschwenden. Lass uns gehen. Wenn wir es nicht tun, werden wir hier unten sterben. Sie werden uns nicht vor dem Frühling finden.«
    »Hattest du nicht etwas von zwei oder drei Wochen gesagt?«
    »Schau doch mal.« Er zeigt nach oben. »Das Flugzeug ist auf einem Felsvorsprung tief in einem steilen Tal in einem dichten Wald gelandet. Sie werden uns hier unten nie entdecken, und solange sie uns nicht sehen, werden sie keinen Bergsteiger in diese gewaltige, unwegsame Eiswüste schicken. Wir müssen uns sichtbar machen.«
    »Aber muss das wirklich jetzt sein?«
    »Gutes Wetter ist in dieser Höhe eine Ausnahme, Jane. Es könnte für eine Woche oder noch länger unsere einzige Chance sein.«
    »Gibt es keine andere Möglichkeit?«
    Er schüttelt den Kopf und dreht sich zu einem Berghang um, der einige Hundert Meter hinter dem Flugzeug emporragt. Die ersten dreißig Meter wirkt er nicht ganz so steil wie der Rest der Talwand, aber dann wird er in der Nähe der Gipfellinie sehr steil und die letzten drei Meter sogar überhängend. Es sind diese letzten drei Meter, die mir Bauchschmerzen bereiten.
    »Da kann ich nicht raufklettern«, sage ich.
    »Lass den Quatsch. Natürlich wirst du das«, erwidert er grob.
    »Ich bin nicht du.«
    »Nein, aber du wirst hier sterben, wenn du nicht kletterst.«
    »Nett von dir.« Ich schnaube.
    »Es ist eine Tatsache.«
    »Es gibt keine Tatsachen«, rufe ich. Ich werde unsicher und habe das Gefühl, ihm in die Falle gegangen zu sein. »Du weißt auch nicht mehr als ich. Wir könnten in einer Stunde gerettet werden oder wegen deiner dummen Tatsachen da oben

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