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Survive

Survive

Titel: Survive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Morel
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Aufgabe. Jetzt braucht er mich, um dieses Tal zu verlassen.
    Ich bleibe für einen Moment stehen und werfe einen prüfenden Blick auf meine Umgebung. Ich schließe die Augen und versuche, mir den Weg zurück zu Paul vorzustellen. Ich weiß genau, wo ich bin, rede ich mir ein. Ich öffne die Augen, knie mich in den Schnee, betrachte die Fußspuren, die ich gerade hinterlassen habe, und gehe in Gedanken den Weg zu Paul zurück.
    Ich stapfe weiter, bis ich eine Lichtung erreiche, auf der eine umgestürzte Kiefer liegt. Sie sieht aus, als habe sie schon längere Zeit dort gelegen. Ich laufe zu ihrem Wipfel, wo die Äste kleiner und dünner sind. Ich breche vier stabile Äste ab und mache mich auf den Rückweg zu Paul, wobei ich meinen im Schnee immer noch gut sichtbaren Fußstapfen folge.
    Ich denke an eine Therapiesitzung mit Old Doctor. Damals hatten die Bäume gerade Knospen bekommen, also muss es zu Beginn des Frühlings gewesen sein.
    »Liest du gern, Jane?«, hat Old Doctor gefragt.
    »Ja, aber nicht, wenn Sie mir vorschreiben, was ich lesen soll.«
    »Ich verstehe. Mir geht es genauso.«
    »Gut.«
    »Aber … «, fing er an.
    Ich konnte es nicht ertragen. »Bei euch Typen gibt es immer ein ›Aber‹. Ich wünschte, Sie würden einfach sagen, was Sie sagen wollen. Immer diese Lockvogeltaktik. Ich bin eigentlich genauso wie du, ABER . Ich mag ebenfalls Filme, ABER … « (Natürlich war das damals noch in meiner Anfangszeit, als ich den Dreh, wie man am besten mit Old Doctor fertig wird, noch nicht raushatte.)
    »Du hast recht, Jane.«
    »Aber? Kommen Sie schon, was ist das ABER ?«
    »Nein, nein. Du hast schon recht.«
    Wir saßen da und starrten uns etwa eine Minute lang an, vielleicht auch zwei, und ich wartete darauf, dass er seine übliche Einschränkung machte. Ich nahm an, wenn ich etwas sagte, würde ihm das nur eine Gelegenheit geben auszuweichen, sodass er sein Argument mit anderen Worten formulieren konnte. Ich wusste, wenn ich wartete, würde er zweifellos mit seinem » Aber « kommen.
    »Der Philosoph Emerson glaubte, dass die gesamte menschliche Welt durch die Betrachtung der Natur erklärt werden kann, wenn man mit der nötigen Konzentration und dem erforderlichen Einfühlungsvermögen nur lange und geduldig genug dasitzt, um die unter der harten Rinde eines alten Baumes verborgenen Lehren hervorzuziehen.«
    »Was zum Teufel soll das heißen?«
    »Ich finde, es klingt gut.«
    »Sie wollen, dass ich ihn lese? Emerson?«
    »Nein, eigentlich weniger, es sei denn, du interessierst dich dafür.«
    Wieder saßen wir schweigend da. Seine wässrig blauen Augen zeigten zwar keinerlei Emotionen, doch in diesem Moment erkannte ich all das Elend, die Scham, den Zorn und die Tränen, die diese Augen vermutlich bereits miterlebt hatten. Ich fragte mich, ob er all den Kummer in sich aufsaugte, dem er zuhören musste. Dann machte ich dem Ganzen ein Ende.
    »Jetzt versuchen Sie es von der umgekehrten Seite. Ich falle aber nicht darauf herein«, sagte ich schließlich mit einem Grinsen und großer Befriedigung.
    »Ich bin nicht dein Feind, Jane.«
    »Aber Sie sind es doch, der entscheidet, wann ich hier rauskomme, oder?«, forderte ich ihn heraus. »Wenn ich es mir recht überlege, sind genau Sie derjenige, der das bestimmen darf.«
    Er lächelte.
    »In diesem ganzen Prozess bist du die wichtigste Person.« Er sagte das sehr gelassen. Es ärgerte mich, dass er nicht richtig wütend wurde.
    »Dann könnte ich nämlich zu Hause sein und den Baum in meinem eigenen Garten studieren.« Ich schnaubte verächtlich. »Und dafür zahlt Ihnen meine Mutter also all die vielen Dollars? Damit Sie uns gefangenen Menschen allen erzählen können, dass wir hinausgehen und Bäume betrachten sollen?«
    »Ich habe dir als Reaktion auf deinen Argwohn in Bezug auf unser Gespräch ein Angebot zum weiteren Nachdenken und Meditieren gemacht.«
    »Blödsinn«, entgegnete ich und sah ihn direkt an. Ich wusste, dass er aufrichtig war, aber ein Rückzieher meinerseits wäre zu peinlich gewesen.
    »Unsere Zeit ist für heute um.«
    »Diesen Trick haben Sie immer auf Lager.«
    »Ich glaube, das gilt für uns beide.«

Kapitel 28
    Ziemlich problemlos finde ich zu Paul zurück. Als ich bei ihm ankomme, schläft er. Ich lege die Äste auf den Boden und schüttele ihn sanft. Er kommt schnell wieder zu sich.
    »Du darfst jetzt nicht schlafen«, verbiete ich ihm.
    Er sieht mich dumpf an, sein Gehirn verarbeitet die Information nicht so schnell wie

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