Survive
Weihnachtsmorgen, bevor dann alles endete; selbst an Old Doctor, meinen Feind und Freund. Wer wäre da noch?
Ich blicke auf Paul neben mir. Sein engelhaftes Gesicht ist gleichzeitig lieb und grob. Seine babyblauen Augen. Ich weiß: Was auch geschieht, diese Augen werden mir für immer im Gedächtnis bleiben, und in meinem Inneren werde ich immer an jedem Moment festhalten, den wir gemeinsam verbracht haben. Und dann denke ich an Will, jemand, dem ich nie begegnet bin, dessen Worte jedoch kleine energiespendende Mutmacher sind, die durch Zeit und Raum reisen, um die bösartigen Geschwüre in meiner Seele aufzuschneiden.
Jetzt knacken die trockensten Äste in der Hitze, und ich lege schnell ein noch größeres Stück Holz nach. Ich gönne mir ein wenig Zeit, um meine Hände zu wärmen. Ich habe Handschuhe getragen und meine Hände vorm Erfrieren geschützt, aber die Hitze des Feuers sticht mir in den Gliedern. Mir wird bewusst, wie tief die Kälte während der letzten drei Tage in meine Knochen eingedrungen ist.
Nach einigen Minuten rüttele ich Paul sanft wach und helfe ihm näher ans Feuer heran. Er ist benommen, aber bei Bewusstsein und in der Lage, sich zu bewegen. Er versucht, mir etwas zu sagen, doch es kommt nur Unsinn heraus. Ich flüstere ihm ins Ohr und bedeute ihm, dass er sich ausruhen soll. Er hört auf mich, schließt die Augen und nickt schnell wieder ein.
Ich ziehe das Kaninchen aus dem Plastikbeutel, der jetzt voller Blut ist. Mir gelingt es, einen der Stöcke in die Haut unter seinem weißen Fell zu rammen. Nach einigen Bemühungen schaffe ich es, den Kopf abzutrennen und die Finger unter das Hautgewebe zu schieben. Mit meinen bloßen Fingern und dem scharfen Stockende reiße ich so viel Haut wie möglich vom Körper. Ich nehme denselben Stock und ramme ihn durch den Schlund des Kaninchens. Dann halte ich es über das Feuer, ungefähr so wie ein Kind ein Marshmallow über ein Lagerfeuer halten würde. Ich hätte nie gedacht, dass ich dazu in der Lage bin zu töten, geschweige denn, das getötete Wesen auszunehmen, zuzubereiten und zu essen. Wer bin ich eigentlich?
Das Feuer ist heiß, und von dem Duft läuft mir das Wasser im Mund zusammen, und dann stelle ich mir vor, was dieser Duft bei einem Wolf oder einem Bären auslösen könnte. Mir wird flau, und dann beschließe ich, dass ich nicht alles kontrollieren kann. Röste das Kaninchen, iss das Kaninchen.
Ich nehme den Stock mit dem Tier, stecke sein Ende zwischen zwei Steine und lasse es nahe an den Flammen baumeln. Ich reibe Pauls Rücken, dann schmiege ich mich an ihn, um ihn warm zu halten. Ich schaue zum Himmel auf. Er ist von Wolken bedeckt. Es ist eine große, kalte Welt, aber ich glaube, dieses kleine Feuer ist genug, um uns warm zu halten, und sei es nur für einige Stunden.
Kapitel 29
Ich erwache allein und in der Nähe des Feuers. Während der Nacht habe ich mich von Paul, der immer noch schläft, weggerollt. Ich kann sehen, dass seine Brust sich hebt und senkt, daher weiß ich, dass er am Leben ist. Es ist noch dunkel, und der Nachthimmel ist von Sternen übersät, doch am unteren Rand des Horizonts scheint bereits Morgenlicht herauf.
Mir ist so kalt, dass mein Körper bis ins Mark zittert. Ich hatte gehofft, während der Nacht mehrmals aufzuwachen, um das Feuer zu schüren und Paul zu wecken, aber mein erschöpfter Körper hatte wohl andere Pläne. Ich schaue nach den Überresten des Feuers. Es glimmt noch immer ein wenig, und ich beuge mich rasch darüber, blase sanft hinein und schüre die Glut, bis sie rot und heiß aufleuchtet. Ich reiße reichlich Seiten aus Wills Notizbuch und baue das Feuer mit Zweigen und kleinen Ästen wieder auf, bis die Flammen in die Luft züngeln.
»Was machst du da?«
Ich drehe mich um und sehe, dass Paul sich aufgerichtet hat und mich beobachtet.
»Ich rette das Feuer – es war im Begriff auszugehen.«
»Was ist das?«, fragt Paul und zeigt auf das angekokelte Kaninchen, das ich die ganze Nacht über sozusagen auf niedriger Flamme gegart habe.
Ich hole den Stock mit dem Kaninchen am Ende herüber. Es ist schwarz verkohlt und knochentrocken. Ich greife mir ein Bein und reiße es ab. Mit den Fingern ziehe ich ab, was an Haut übrig geblieben ist, dann beiße ich zu. Es ist der himmlisch. Salzig, zäh, wunderbar. Ich nehme noch einen Bissen und dann noch einen. Ich bin wie ein wildes Tier, das das Fleisch vom Knochen reißt.
»Wo hast du das her?«, fragt Paul.
»Ich habe es getötet. Ich bin
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