Susan Andersen
Sicherheit. Sie hätte erst die Leiter weiterrücken sollen, das wusste sie. Gerade, als sie sich ganz ausgestreckt hatte, spürte sie ein Rucken unter sich. Sofort bewegte sich das rechte Bein der Leiter in eine Richtung, in die es sich nicht hätte bewegen dürfen. Dann klappten die Beine zusammen, und die Vorderseite schlug gegen die Wand. Poppy riss die Hände nach vorn, damit ihr Kopf nicht gegen die Wand knallte, suchte erfolglos an der glatten Oberfläche nach Halt. Die Leiter kippte langsam zur Seite.
Sie hörte Danny kreischen. Die Beine der Leiter rutschten weiter, sie sah den Boden in rasendem Tempo auf sich zukommen. Instinktiv dachte sie, dass es ziemlich übel sein würde, auf den Asphalt zu knallen.
Dann spürte sie einen festen Arm um ihre Taille und wie jemand sie gegen einen noch festeren Körper zerrte, kurz bevor sie auf dem Boden aufschlug. Weil ihr Sturz so abrupt aufgehalten wurde und sie in der Körpermitte einknickte, bekam sie für einen Moment keine Luft. Als sie versuchte, sich aufzurichten, prallte ihr Ellbogen gegen die Wand.
„Scheiiiiiiiiiiiiiße!“ Der Schmerz jagte hinauf in ihre Schulter und hinunter in ihre Fingerspitzen. Als Jason sie sanft auf die Beine stellte und sie sich mit dem Rücken an ihn lehnte, fiel ihr auf, dass sie jetzt vermutlich ohne seine Hilfe stehen konnte.
Zwar versuchte sie es erst gar nicht, aber allein es zu wissen, war gut. Sie holte ein paar Mal zitternd Luft und zog Bilanz.
Dabei stellte Poppy fest, dass die Landung deutlich angenehmer verlaufen war, als sie in den scheinbar ewig langen Sekunden des freien Falls gedacht hatte, und sie in verdammt guter Verfassung war.
Sie spürte Jasons Herz an ihrem Rücken schlagen, während seine Hände sie nach inneren Verletzungen und Brüchen abtasteten.
„Bist du okay?“, murmelte er in ihr Ohr.
Poppy atmete hastig ein und stieß den Atem wieder aus. „Ja.“
Er trat einen Schritt zurück und drehte sie zu sich um. „Was ist bloß mit dir los?“, fragte er, und seine Stimme klang ziemlich wütend. „Erst wirst du fast von diesem Schraubenschlüssel erschlagen, und jetzt kippt deine Leiter um?“ Er bückte sich, um die Querverstrebung zu inspizieren, die die Beine hätte auseinanderhalten sollen.
„Da fragst du die Falsche, weil ich es auch nicht verstehe“, erwiderte sie und ging neben ihm in die Knie. Die Kids scharten sich um sie und die umgefallene Leiter. „Die Leiter gehört meinem Vater“, erklärte sie Jason, „und er hält seine Sachen immer bestens im Schuss.“ Im selben Moment sah sie, wie er mit den Fingern über die verbogenen Löcher tastete – dort, wo eigentlich Nieten das Gestänge mit den Beinen der Klappleiter hätten verbinden sollen. Verwirrt sagte sie: „Ich verstehe es einfach nicht.“
Bruno Arturo, der die Szene aus seinem Auto beobachtete, ärgerte sich über seine blöde Idee, die Nieten der Leiter zu manipulieren. Als er letzte Nacht beim Auskundschaften der Gegend die Leiter entdeckt hatte, war er noch immer stinksauer wegen des kurzen Beitrags auf KING-5 gewesen. Und darüber, dass er das Mädchen eigentlich hatte verschonen wollen. Und dann so was .
Es war überraschend schwer gewesen, Informationen über das Mädchen zu bekommen. Er war davon ausgegangen, dass die anderen Straßenkids wussten, dass sie ein Mädchen war. Darum hatte es ziemlich lange gedauert, bis er herausfand, dass sie sich auf der Straße CaP nannte. Und als er dann endlich einen Namen hatte, schien niemand sie zu kennen. Erst als eins der Kids sagte, CaP hätte mal erwähnt, aus Philly zu kommen, kam er voran. Er kontaktierte einen Kollegen und erfuhr, was mit dem Vater des Mädchens geschehen war.
Trotzdem wusste er noch immer nicht, wo sie wohnte. Das wunderte Bruno, weil es normalerweise das Erste war, was man herausfand. Doch das Mädchen war gerissen, ging immer über Umwege nach Hause, lief durch Gärten und falsch herum in Einbahnstraßen, bis sie sich in Luft aufgelöst zu haben schien. Einmal hatte er sie über viereinhalb Blocks verfolgt, bevor sie verschwand. Das war sein Rekord gewesen. Sie stand auch nicht unter Capelli im Telefonbuch, was ihn nicht wunderte nach allem, was ihrem Vater zugestoßen war. Wer einmal einen Menschen durch Mord verloren hatte, war natürlich besonders vorsichtig.
Irgendwann kam er zu dem Schluss, dass sein Boss recht hatte: Das Mädchen war keine Bedrohung. Schließlich hatte sie mit eigenen Augen gesehen, was mit ihrem Vater geschehen war und
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