Susan Mallery - Buchanan - 03
bedeutet mir wirklich sehr viel.“
Ohne ihn hätte sie das alles nicht geschafft. Er hatte sich tagsüber um seine Großmutter gekümmert und war dann zu ihr gefahren und hatte ihr beigestanden. Seit Madelines Tod war er jeden Abend bei ihr gewesen und hatte sie im Arm gehalten, bis sie einschlief.
Sie fühlte sich ein bisschen schuldig, dass sie ihm im Moment nicht mehr geben konnte, aber in ihr war völlige Leere. Alles war grau und tot. Irgendwann wird das vorbei sein, dachte sie trotzig. Dann würde der Schmerz sie vermutlich erst richtig übermannen.
Sie wollte ihm etwas sagen, damit er bei ihr blieb, bis es ihr wieder gut ging, aber sie hatte keine Worte. Trotzdem versuchte sie es. Doch bevor sie dazu kam, trat eine Frau auf sie zu und sprach von Madeline.
„Sie hat Sie verehrt“, sagte die Frau und lächelte mit Tränen in den Augen. „Ich weiß noch, wie glücklich und gerührt sie war, als Sie ihr angeboten haben, sie könnte hier einziehen. Damals sagte sie mir, jetzt hätte sie keine Angst mehr. Sie wusste, dass Sie zu ihr halten. Sie wusste, wie sehr Sie sie geliebt haben.“
Lori nickte und brachte kaum einen Ton heraus. „Sie war meine Schwester“, war alles, was ihr einfiel.
Die Frau schluchzte. „Es tut mir leid. Für Sie ist es ja bestimmt noch viel schlimmer als für mich. Ich wollte nur, dass Sie es wissen. Madeline hat immer von Ihnen gesprochen.“
„Vielen Dank.“
Auch andere Trauergäste kamen zu ihr und erzählten von Madeline. Alle waren sehr nett, doch irgendwann konnte Lori es nicht mehr ertragen. Sie floh ins Zimmer ihrer Schwester und schloss die Tür hinter sich. Plötzlich merkte sie, dass sie nicht allein war. Ihre Mutter trat aus dem begehbaren Kleiderschrank, eine rote Bluse in der Hand.
„Ich weiß noch, wie Madeline die gekauft hat“, sagte ihre Mutter und wischte sich die Augen. „Sie hatte gerade die Scheidung eingereicht und wollte sich etwas Fröhliches kaufen. Aber die Bluse sah schrecklich an ihr aus, was ich ihr auch sagte. Wir standen in meinem Wohnzimmer und lachten darüber, dass sie nicht einmal eine Bluse richtig auswählen konnte.“ Tränen liefen ihr die Wangen herunter. „Sie hat immer gern über sich selbst gelacht.“
„Ich erinnere mich auch. Sie wollte mir die Bluse nämlich schenken, aber ich sagte, dass sie an mir erst recht nicht gut aussehen würde.“
Ihre Mutter seufzte. „Sie war immer so schön. Schon als Baby.“
„Ich weiß. Auch auf Fotos sah sie nie doof aus, nicht mal auf diesen bescheuerten Klassenfotos. Wie habe ich sie dafür gehasst.“ Die Gefühle überwältigten sie. Sie sank aufs Bett und presste sich den alten Teddybär ihrer Schwester an die Brust.
„Wie ich sie gehasst habe“, flüsterte sie. „Gott möge mir vergeben. Ich habe sie als Kind gehasst, weil sie so schön und charmant war und weil jeder sie liebte.“
Ihre Mutter setzte sich neben Lori und tätschelte ihren Oberschenkel. „Hör auf damit. Red dir nichts ein, Lori. Du hast deine Schwester nicht gehasst. Nie. Du warst vielleicht eifersüchtig auf sie, aber das ist etwas ganz anderes. Warum musst du dich selbst immer so klein machen? Vermutlich ist das meine Schuld. Es tut mir leid.“
„Nein“, sagte Lori. „Es ist in Ordnung. Ich bin okay. Ich wünschte nur ...“ Sie musste schlucken. „Ich wünschte nur, ich wäre netter zu ihr gewesen. Dann hätte sie gewusst, wie viel sie mir bedeutet.“
„Sie hat es gewusst. Wie kannst du daran zweifeln? Du hast ihr angeboten, bei dir einzuziehen, als es ihr schlecht ging. Du hast dein Herz und dein Leben für sie geöffnet. Du wolltest sogar Geld sparen, um in den letzten Monaten ihres Lebens nicht mehr arbeiten gehen zu müssen und nur noch für sie da sein zu können. Das wusste sie alles. Und dafür liebte sie dich noch mehr, als sie es ohnehin schon tat. Sie hatte großen Respekt vor dir und hat dich immer bewundert. Das hat sie mir selbst gesagt.“
Plötzlich stiegen Lori Tränen in die Augen, und zum ersten Mal, seit ihre Schwester nicht mehr lebte, konnte sie weinen.
Große, dicke Tränen rannen an ihren Wangen herunter. Schluchzen schüttelte ihren Körper.
„Ich vermisse sie so“, sagte sie mit erstickter Stimme. „Ich will, dass sie wiederkommt. Ich weiß, dass das mit dem Spenderorgan ihre Chance war, und ich bin froh, dass sie so voller Hoffnung starb. Aber ich vermisse sie.“
„Ich weiß.“
Sie hielten sich fest, getragen von einer gemeinsamen Trauer, die unendlich war.
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