Susan Price
Untertanen der Königin waren sie zu alltäglich, um eine besondere Anziehung auszuüben, und so blieb die Zahl der Christus-Anhänger im Lande klein. Der Königin war es nicht einmal gelungen, den eigenen Gemahl zu bekehren. König Eadmund hatte ihr die Erlaubnis gegeben, eine kleine Kapelle zu errichten und dort zu beten, wann immer sie wollte, doch er blieb seinem Ahnherrn, Woden, und auch dem Glauben an Thunor, Ing und Freyja treu. Als Königin Ealdfrith starb, verlor Vater Fillan mehr als nur eine Freundin. Er verlor seine größte Fürsprecherin und das bedeutendste Mitglied seiner Gemeinde und – falls gewisse Gerüchte der Wahrheit entsprachen – auch eine Geliebte.
Daher hatte er sie bei sich behalten. Er behauptete, es sei der Wunsch der sterbenden Königin gewesen. König Eadmund, der mit seiner Gemahlin seit Jahren kaum ein Wort gewechselt hatte, war verblüfft über Vater Fillans Ansuchen gewesen, aber Vater Fillan hatte ihn in vielerlei Hinsicht verblüfft – das bartlose Gesicht, der kahl geschorene Schädel, das Gekrieche und Geflehe vor seinem einzigen Gott. Aber schließlich kam Fillan aus der Fremde und hatte fremdartige Sitten. Und so war es gekommen, dass Königin Ealdfrith, als halb mumifizierter Leichnam, in Prachtgewänder gekleidet, die erste und einzige christliche Heilige des Königreichs geworden war – und was für eine Heilige! Sehr viel eindrucksvoller, als man sie in Fillans christlichem Land im Norden fand. Sogar beeindruckender als viele Reliquien in den großen Kathedralen auf dem Festland. Fillan war stolz auf seine königliche Heilige und stellte sie bei jeder Gelegenheit zur Schau.
Ealdfriths jüngster Sohn, der Atheling Wulfweard, konnte nicht umhin, immer wieder einen Blick auf sie zu werfen. Er gab sich zwar Mühe, seinem sterbenden Vater die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen, sah aber immer wieder unvermittelt zu der Heiligen hin, als erwarte er bang, sie könne sich plötzlich vom Sessel erheben und ihn in die Arme schließen. Er hatte sich in Gegenwart seiner Mutter nie recht wohl gefühlt. Unwin, der Älteste der Athelinge, legte den Arm um die Schultern des Jungen und drückte ihn mit seiner großen schwieligen Waffenhand beruhigend an sich. Alle Athelinge besaßen das gute Aussehen ihres Vaters und Vatersbruders, doch Unwin, ein Mann von achtundzwanzig, wenngleich groß und stark an Gestalt, hatte das Familiengesicht in der schroffsten Form geerbt. Das Kerzenlicht betonte die vorspringenden Wangenknochen und die vollen Lippen, die sich wie schmollend über den Pferdezähnen schlossen. Die buschigen Brauen hüllten die Augen in tiefe Schatten. Wo sein Haar das Licht auffing, glänzte es in einem dunklen Kupferrot. Er trug es aus dem Gesicht gekämmt und zu einem dicken Pferdeschwanz zusammengebunden, der ihm über den Rücken fiel. Auf diese Weise war es ihm nicht im Weg, was seiner Natur entsprach, doch diese strenge Haartracht machte seine harten Gesichtszüge nicht weicher.
Obgleich Wulfweard so groß war wie sein Bruder, war er erst sechzehn und wirkte neben dem massigen Unwin schlank und biegsam wie eine Gerte. Er trug das Haar modisch offen, und es reichte ihm fast bis zum Gürtel. Offenbar war ihm unbehaglich, denn er konnte nicht still stehen, wodurch sein Haar im Licht bei jeder Bewegung wie Rotgold schimmerte. Die Brosche an der Schulter, der Reif um seinen Hals und die Schnalle am Gürtel glänzten hell.
Hunting, der dritte Atheling, stand hinter seinen Brüdern, halb im Schatten. Er stand ruhig mit verschränkten Armen da, den Blick ständig auf das Bett geheftet.
Als der König wieder einen rasselnden Atemzug tat, blickte Unwin zu Vater Fillan am Fuß des Betts. Er machte eine auffordernde Kopfbewegung. Der Priester nahm die Hände aus den Ärmeln und trat näher. Er hielt eine kleine Flasche.
Athelric sah sie und fragte: »Was ist das?«
Niemand antwortete ihm. Der Priester trat ans Kopfende des Betts und beugte sich über den König. Er murmelte etwas und zog den Stöpsel aus dem Fläschchen.
Athelric packte den Priester am Handgelenk. »Was tust du?«
»Nichts, Vatersbruder«, erklärte Unwin, aber Athelric runzelte die Stirn und zog den Priester vom Lager des Königs weg.
Vater Fillan, der viel kleiner und schmächtiger war als Athelric, erklärte: »Ich werde den König jetzt taufen.«
»Das wirst du nicht!«, sagte Athelric.
»Damit er gerettet wird und in das himmlische Königreich eingeht«, fuhr Fillan fort. Er blickte in Athelrics
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