Susan Price
sie leben, und dort würde das, was sie gesehen hatte, sie nicht entzweireißen.
Das Feuer würde man anzünden und immer brennen lassen, Tag und Nacht, und nie würde man es ausgehen lassen, außer an Jul, um es anschließend wieder anzuzünden. Jeden Tag würde das alte Stroh hinausgekehrt und neues Stroh ausgelegt werden. Das wäre ihre Aufgabe. Hier würde ihr Platz sein, am Fuß der Figur von Woden.
Weit über dem Saal, im oberen Zimmer, lag Kendidra in der Wärme ihres Betts und hielt Godwin an sich gedrückt. Sein Kopf schmiegte sich unter ihr Kinn. Die anderen Kinder schliefen in dieser Nacht bei den Mägden.
Sie hatten zugeschaut, während Elfling seine Heilung gewirkt hatte, und nun, wenn sie Godwin zuflüsterte, ihn küsste und ihm gut zuredete, bemerkte sie, wie er ihre Finger mit seinen packen konnte. Er konnte seinen Kopf drehen und ihr antworten und ein wenig essen und trinken. Seine Beine fühlten sich zwar noch kalt an und konnten sich nicht bewegen, aber immerhin hatte Elfling einiges von dem geheilt, was er angerichtet hatte.
Kendidra konnte nicht ohne Dankbarkeit an Elfling denken. Wo er leicht hätte töten können, hatte er verschont. Er hatte Godwin teilweise geheilt, und wenn sie sich ihm gegenüber dankbar und liebevoll erwies, dann würde er ihn weiter heilen, da war sie sich sicher. Sie konnte nicht sagen, dass er sie nicht gewarnt hatte. »Mich zu kennen gewährt keine Sicherheit.« Aber er vergab. Sie traute sich nicht, Schlechtes von ihm zu denken.
»Du darfst Elfling nicht hassen«, flüsterte sie Godwin ins Ohr und streichelte seinen Rücken. »Du verstehst nicht, warum er ist wie er ist. Du darfst ihn nicht hassen.«
Wenn Godwin an Elfling dachte, verspürte er nur panische Angst.
Ingvald und Ingvi saßen Seite an Seite auf einer Bank am Saalende, und ihre Schultern und Knie berührten sich. Ein Horn machte zwischen ihnen die Runde, und sie hatten keinen Bedarf, ihre Gedanken in Worte zu fassen.
»Auf Lovern!«, sagte Ingvi und brachte einen Trinkspruch auf den christlichen König aus, an dessen Hof er nicht zurückkehren würde. »Auf die Freiheit!«
Ingvald knurrte, nahm das Horn und trank mürrisch. Eine Allianz mit dem Elfengeborenen war nicht das, was er als »Freiheit« bezeichnen würde.
Auf der harten Schlafbank eines kleinen Gemachs schlief Elfling tief und fest, weit entfernt von allen Traumwelten. Über sein Gesicht und seine Schultern fielen die langen roten und grauen Haare der Frau, deren Arme ihn umschlungen hielten. Nichts konnte ihn wecken oder stören. Die Stunde seines Todes und die Art seines Sterbens waren ihm schon lange vorbestimmt.
Wulfweard wachte auf. Eine Stimme hatte klar und deutlich in seinem Traum nach ihm gerufen. »Unwins-weard! Bruderwächter!«
Er hatte seinen Namen gehört und geantwortet.
ANMERKUNGEN
Die Runenverse, mit denen Ud Elfling auf dem Gräberfeld fesselt, und Ebbas »Ing-Rune« basieren in gewissem Maße auf dem »angelsächsischen Runengedicht«, das für jede der dreißig Runen einen Reim aufzählt.
Tatsächlich gibt es im gesamten Buch immer wieder Anspielungen auf das »Runengedicht«, daher zähle ich sie nicht gesondert auf.
Das lange Lied der achtzehn Runen, mit denen der Einäugige Elfling wiederbelebt, basiert zum Teil auf »Die Sprüche des Hohen« aus der Lieder-Edda , einem der bedeutendsten Quellenbücher der nordischen Mythologie.
Die Fragen, die Elfling am Ende des Kapitels »Das Runenlied« gestellt werden, sind ebenso in gewissem Maße der Lieder-Edda entnommen, und zwar dem »Wafthrudnirlied«. Der Riese Wafthrudnir beginnt unwissentlich einen Rätselwettstreit mit dem Gott Odin, bei dem der Verlierer den Kopf verliert. Odins letzte Frage: »Was sagte Odin dem Sohn ins Ohr, eh man auf den Holzstoß ihn hob?«, ist nicht zu beantworten. Wafthrudnir wird enthauptet.
Das Lied, an das sich Wulfweard am Ende von Kapitel elf erinnert, basiert in gewissem Maße auf dem angelsächsischen Gedicht »Deor«. Dieses Gedicht bezieht sich auf die Legende von Wieland, dem Schmied.
Das Lied, mit dem Elfling und Wulfweard die Toten wiederbeleben, basiert in gewissem Maße auf dem englischen Volkslied »John Barleycorn«. Dieses Lied wurde vor nicht allzu langer Zeit gesammelt, im neunzehnten Jahrhundert, aber die heidnischen Anspielungen seines Textes haben großes Interesse hervorgerufen. Mittlerweile gibt es mehrere Vertonungen.
Das bruchstückhafte Lied, mit dem Ud in Kapitel neun die Wachen in den Schlaf singt,
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