Susan Price
hatte, wandte den Kopf und blickte Morcar ins Gesicht. Ebba, die vom Haus aus zuschaute, sah, wie Morcar verblüfft vor der Kraft dieses Blickes zurückwich, als hätte man ihm einen Stoß gegen die Brust versetzt. Sie bedeckte den Mund mit einer Hand und lächelte. Sie kannte die Kraft dieses Blickes.
Morcar trat einen Schritt vor, doch dann hatte er sich wieder im Griff und blieb stehen. Er vermochte es nicht zu begreifen, was ihn so aus der Fassung gebracht hatte. Aber eigentlich kannte er den Grund genau. Als sich der junge Mann umdrehte, sich aufrichtete und Morcar mit den Augen fixierte, war dieser ob so viel Schönheit geschockt gewesen. Aber das allein konnte es nicht sein … Nie im ganzen Leben hatte Morcar bei einem Mann nach Schönheit gesucht, das entsprach nicht seiner Neigung. Nein, es musste noch etwas anderes sein … Aber für jetzt wusste er lediglich, dass diese Schönheit ihn so getroffen hatte.
Der Kopf des Elfengeborenen saß auf einem langen, schlanken Hals. Sein Anblick glich dem eines prächtigen Rehs. Die Züge des Gesichts waren perfekt angeordnet und ausgeprägt. Das schlecht geschnittene Haar leuchtete hell an den Rändern, wo das Licht hindurchschien. Ansonsten glänzte es mit der warmen Farbe rötlichen Bernsteins.
Doch am auffälligsten waren die Augen. Sie waren schöner als die Augen irgendeiner Frau, die Morcar je gesehen hatte. Laut aufstöhnend trat er noch einen Schritt zurück, als er sich dies eingestand. Die Augen waren klar wie Glas, wechselten jedoch die Farbe, je nachdem wie das Licht sie traf. Aber nie war es eine Farbe, die man eindeutig hätte benennen können. Zu viel Blau oder sogar Violett, um sie grau zu nennen, aber zu viel Grün, um sie als blau zu bezeichnen, und zu viel Grau, um grün zu sein. Als Morcar nach festem Halt suchte und Elfling ihn nicht aus seinem zwingenden Blick entließ, traf das Licht aus einem anderen Winkel darauf und entzündete gelbe Fünkchen wie bei ockerfarbenen Flechten auf Felsen.
Der böse Blick, dachte Morcar und fühlte, wie sein Herz schneller schlug und hämmerte. Und der böse Blick bedeutet, dass er mich damit töten will. Er wird mein Herz zerbersten lassen …
Doch da entließ ihn Elfling unvermittelt aus dem Bann seines Blicks und ging zurück zum Haus. Er schob Ebba am Eingang beiseite und ging hinein. Morcar hatte Angst um seine Frau, rang nach Luft und eilte ihm hinterher.
Der Innenraum lag im Dunkeln, nur teilweise erhellt durch das Herdfeuer und die wenigen Lichtstrahlen, die, vorbei an den Leuten, die dort im Weg standen, durch die offene Tür drangen. Doch vermochte das Licht kaum die dichten Rauchschwaden zu durchdringen, sodass man nur undeutlich sah, was vor sich ging. Elfling stand aufrecht unter dem Dachfirst. Sein Haar glänzte in einem Lichtstrahl, als Aldgytha die Arme ausbreitete, sie ihm entgegenstreckte und lächelte.
Ehe Morcar ein Wort herausbrachte oder sich durch die Knechte einen Weg bahnen konnte, erhob sich Aldgytha schon und ging zu dem Elfengeborenen – und in seine Arme –, schneller, als es Morcar gefiel. Und alle schauten zu, nicht nur die Knechte und Mägde vom Hof, sondern auch Morcars eigene Dienerschaft. Er spürte, wie sein Gesicht vor Wut und Angst weiß wurde und sich versteinerte.
Elfling schloss Aldgytha in die Arme, legte sein Kinn auf ihre Schulter und grinste Morcar an. Dann wiegte er sich hin und her, wobei er Aldgytha wie ein Kind in den Armen hielt. In Morcar stieg eine stille Wut auf, welche nur durch das laute Hämmern seines Herzens unterbrochen wurde. Elfling stimmte ein lautes, fröhliches Gelächter an, so natürlich, als habe er soeben einen sehr lustigen Witz erzählt. Er hob Aldgytha in die Luft. »Morcar! Nicht deine Frau braucht meine Hilfe!«
Morcar verschlug es die Sprache.
Elfling stellte Aldgytha auf die Füße und ließ sie los. Mit völlig verdutztem Gesicht schaute sie ihren Mann an. »Zumindest weißt du, dass sie dir treu gewesen ist«, sagte Elfling. Einige der Knechte lachten, und – Morcar glaubte es jedenfalls – sogar seine Diener kicherten leise.
»Zehn Jahre?«, fuhr Elfling fort. »Mit jedem anderen Ehemann hätte sie inzwischen zehn Kinder!«
Elflings unirdische Schönheit und seine Verachtung trafen Morcar tief. Mit Abscheu in der Stimme sagte er: »Du solltest tot sein!« Während er dies sagte, zog er sein Messer aus dem Gürtel, um die Worte in die Tat umzusetzen.
Im Haus gab es wenig Platz, weder für Verteidigung noch für Angriff.
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