Susannah 4 - Auch Geister lieben süße Rache
wo er doch in Wirklichkeit hinterhältig um die Ecke gebracht worden war. »Er wurde in meinem Haus ermordet!«
Clive Clemmings starrte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Erst jetzt wurde mir klar, was ich da eigentlich gesagt hatte.
»Hector de Silva«, setzte Dr. Clemmings an, und er hörte sich dabei genau wie Schwester Ernestine an, wenn sie im Religionsunterricht langsam die Geduld mit uns verlor, »verschwand kurz vor seiner Hochzeit mit seiner Cousine Maria, und es ward nie wieder etwas von ihm gehört.«
Ich konnte ja schlecht einwenden: Na ja, im Moment wohnt sein Geist in meinem Zimmer, und er hat gesagt …
Also sagte ich stattdessen: »Ich dachte, es gäbe die Theorie, dass Maria ihren Lover Diego als Killer auf
Hector losgelassen hat, damit sie ihn nicht heiraten musste.«
Clive Clemmings musterte mich verärgert. »Das ist nur eine Theorie, die mein Großvater, Colonel Harold Clemmings, aufgestellt hat. Er hat ein Buch geschrieben …«
»Ja, ich weiß: ›Mein Monterey‹«, vollendete ich seinen Satz. »Genau das meine ich. Der Typ war also Ihr Großvater?«
»Ja«, sagte Dr. Clemmings, sah dabei aber nicht besonders glücklich aus. »Er ist schon seit vielen Jahren tot. Und ich kann nicht behaupten, dass ich seiner Theorie zustimmen würde, Miss … ähm … Ackerman.« Ich hatte Marias Briefe unter dem Namen meines Stiefvaters eingereicht, deswegen ging Clive Clemmings, Doktor der Sexismus-Wissenschaften, automatisch davon aus, dass ich auch so hieß. »Nebenbei bemerkt hat sich das Buch nicht sonderlich gut verkauft. Mein Großvater hatte ein starkes Interesse an der Geschichte dieser Gegend, aber anders als ich war er nicht gebildet. Er besaß keinerlei Studienabschluss, geschweige denn einen Doktortitel. Meiner Meinung nach - und diese Meinung teilen sämtliche Historiker weit und breit, mit Ausnahme meines Großvaters natürlich - hat der junge Mr de Silva kurz vor der Hochzeit ›kalte Füße‹ bekommen …«, Dr. Clemmings malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft, »… und da er sich angesichts der Art und Weise, wie er seine Verlobte sitzen ließ, nicht in der Lage fühlte, der Familienschande ins Auge zu blicken, machte er sich kurz entschlossen auf die Suche
nach einem eigenen Goldclaim, vielleicht irgendwo in der Gegend um San Francisco …«
Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, wie es wohl wäre, Clive Clemmings die Spezialzange in die Augen zu bohren, mit der er vorhin die Briefe aufgefaltet hatte. Sofern ich überhaupt an seinen Flaschenboden-Brillengläsern vorbeikommen würde.
Aber ich riss mich zusammen und sagte mit aller Würde, die ich in meinen plissierten Khakishorts aufbringen konnte: »Hand aufs Herz, Dr. Clemmings, glauben Sie wirklich, dass ein Mensch, der solche Briefe geschrieben hat, so etwas tun könnte? Einfach weggehen, ohne seiner Familie ein Wort davon zu sagen? Seinen Schwestern, die er so geliebt und über die er so mitfühlend geschrieben hat? Denken Sie allen Ernstes, er hätte Marias Briefe in unserem Garten vergraben? Geht es über Ihre Vorstellungskraft hinaus, dass sie nur aufgetaucht sind, weil er selbst vielleicht irgendwo vergraben liegt, und dass mein Stiefvater, wenn er nur tief genug buddelt, über seine Leiche stolpern könnte?«
Meine Stimme klang mittlerweile total schrill, ich wurde echt hysterisch. Na und?
»Würden Sie dann glauben, dass Ihr Großvater recht hatte?«, kreischte ich. »Wenn mein Stiefvater die verweste Leiche von Hector de Silva finden würde?«
Clive Clemmings starrte mich entsetzt an. »Miss Ackerman!«, stieß er hervor.
Was wahrscheinlich daran lag, dass mir jetzt Tränen übers Gesicht liefen.
Das war echt seltsam, denn normalerweise bin ich
keine Heulsuse. Ich meine, klar weine ich schon mal, wenn ich mir den Kopf an der Küchenschranktür stoße oder ich einen rührseligen Werbespot anschaue. Aber ich habe definitiv nicht nahe am Wasser gebaut.
Trotzdem saß ich nun hier im Büro von Dr. phil. Clive Clemmings und heulte mir die Augen aus dem Kopf. Toll gemacht, Suze. Echt professionell. Die beste Art, Jack zu zeigen, wie man seinen Mittler-Job erledigt.
Ich streifte die Latex-Handschuhe ab und stand auf. »Ich muss Ihnen sagen, dass Sie sich im Irrtum befinden«, sagte ich mit zitternder Stimme. »Jesse … ich meine, Hector … hätte so etwas niemals getan. Vielleicht möchte sie , dass Sie das glauben …«, ich deutete mit dem Kopf auf das Gemälde, das mir auf einmal
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