Susannah 4 - Auch Geister lieben süße Rache
längst nicht mehr unter den Lebenden. Das war die einzige Erklärung dafür, dass ich tatsächlich noch am Leben war. Die beiden waren so eingebildet, dass sie nicht mal nachgeschaut hatten, ob ich auch wirklich tot war.
Anscheinend hatten sie vor mir noch nie einen Mittler
gekannt. Um uns totzukriegen, braucht es schon etwas mehr als nur einen Sturz vom Dach.
»Susannah.« Als ich ans Telefon ging, hörte ich Pater Dominics besorgte Stimme. »Gott sei Dank, es geht Ihnen gut. Ich hatte solche Angst … Aber Sie haben es nicht getan, oder? Sie sind nicht zum Friedhof gegangen?«
»Nein«, sagte ich. War ja auch nicht nötig gewesen. Der Friedhof war quasi zu mir gekommen.
Aber das erzählte ich Pater Dom natürlich nicht. »Sind Sie wieder im Lande?«, fragte ich stattdessen.
»Ja, ich bin wieder da. Sie haben ihnen nichts davon gesagt, nicht wahr? Ihrer Familie, meine ich.«
»Ähm …«, sagte ich unsicher.
»Susannah, Sie müssen. Unbedingt! Ihre Familie hat ein Recht darauf, es zu erfahren. Wir haben es hier mit einem ernst zu nehmenden Spuk zu tun. Sie können umkommen, Susannah …«
Ich verzichtete darauf, ihm zu berichten, dass es beinahe schon so weit gewesen war.
Da klingelte es auf der zweiten Leitung. »Könnten Sie kurz dranbleiben, Pater Dom?«, sagte ich und drückte auf den Knopf.
Eine schrille, irgendwie vertraute Stimme sprach in mein Ohr, aber ich konnte sie beim besten Willen nicht einordnen.
»Suze? Bist du das? Alles klar mit dir? Bist du krank oder so?«
»Ähm …«, stammelte ich verwirrt. »Ja, alles klar. So ziemlich. Wer ist denn dran, bitte?«
»Ich bin’s, Jack!«, sagte die Stimme empört.
Oh Gott. Jack. Arbeit. Alles klar.
»Jack«, sagte ich. »Woher hast du denn meine Festnetznummer?«
»Du hast sie gestern Paul gegeben«, sagte Jack. »Weißt du nicht mehr?«
Nein, ich wusste nicht mehr. Das Einzige, was vom gestrigen Tag in meinem Gedächtnis geblieben war, war die Tatsache, dass Clive Clemmings nicht mehr unter den Lebenden weilte, Jesses Porträt verschwunden war …
Ach ja, und Jesse selbst war auch verschwunden. Und zwar für immer.
Na ja, und dann gab es noch den Teil der Geschichte mit Diego und seinem Wunsch, mir den Schädel zu zertrümmern.
»Oh«, sagte ich. »Ja, also … Jack, hör zu, ich hab noch jemanden auf der anderen …«
»Suze«, unterbrach Jack mich. »Du wolltest mir doch heute zeigen, wie man unter Wasser Überschläge macht.«
»Ich weiß«, entgegnete ich. »Tut mir echt leid. Aber leider … heute kann ich nicht zur Arbeit kommen, Kumpel. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich brauch nur einfach mal einen freien Tag, okay?«
»Du klingst traurig«, sagte Jack und hörte sich selber ziemlich traurig an. »Dabei dachte ich, du wärst ganz fröhlich.«
»Ach ja?« Ich fragte mich, ob Pater Dom immer noch auf der anderen Leitung wartete oder schon längst beleidigt aufgelegt hatte. Der Arme, ich behandelte ihn
wirklich schlecht. Schließlich hatte er seine ohnehin kurze Exerzitien-Auszeit meinetwegen abgebrochen. »Wieso?«
»Weil ich doch …«
Da sah ich es: einen ganz, ganz schwachen Schein. Direkt über meinem Bett. Jesse? Wieder machte mein Herz einen Satz. Langsam wurde das echt tragisch, wie ich bei jedem noch so kleinen Lichtschein hoffte, er würde zurückkommen.
Aber es war nicht Jesse.
Maria und Diego waren es zum Glück auch nicht. Sicher wären sie sowieso nicht so übermütig gewesen, mich am helllichten Tag anzugreifen, aber …
»Jack«, sagte ich. »Ich muss Schluss machen.«
»Warte mal, Suze, ich …«
Aber da hatte ich schon aufgelegt. Und zwar weil jetzt jemand auf meinem Bett saß. Dr. phil. Clive Clemmings, der ein äußerst unglückliches Gesicht machte.
Typisch Suze-Glück: einen Jesse herbeisehnen und einen Clive kriegen.
Clive Clemmings blinzelte hinter seinen Flaschenboden-Brillengläsern hervor. Er schien über meinen Anblick beinahe genauso überrascht zu sein wie ich über seinen. »Oh, Sie sind’s.«
Ich schüttelte nur den Kopf. Manchmal hatte ich das Gefühl, mein Zimmer wäre der Hauptbahnhof.
»Ich wusste nur nicht …« Clive Clemmings nestelte an seiner Krawatte herum. »Als man mir sagte, ich könnte mich an einen Mittler wenden, hätte ich nicht … also ich meine … ich hatte …«
»Sie hatten nicht erwartet, dass ich der Mittler sein würde«, brachte ich seinen Satz zu Ende. »Ja, das höre ich oft.«
»Sie sind nur so …«, sagte Dr. Clemmings entschuldigend.
Ich starrte ihn
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