Susannah 4 - Auch Geister lieben süße Rache
würde niemals …«
»Es lag nicht an der Klimaanlage«, sagte ich schlicht.
Clive Clemmings starrte mich verwundert an. »Nein, nein, es lag nicht daran. Denn im nächsten Moment drang plötzlich der Duft nach Orangenblüten an meine Nase. Und Sie wissen ja, dass Maria Diego dafür berühmt war, Eau de Toilette mit Orangendurft zu benutzen. Das war wirklich seltsam. Und eine Sekunde später hätte ich schwören können …« Ein versonnener Ausdruck lag in seinen Augen hinter den Brillengläsern. »Ich hätte schwören können, ich hätte sie gesehen. Nur so aus dem Augenwinkel … Maria de Silva Diego …«
Der versonnene Ausdruck verschwand. Als er die Augen wieder auf mich richtete, war sein Blick hellwach und fokussiert.
»Und dann schoss mir ein rasender Schmerz durch den linken Arm«, sagte er ruhig. »Ich wusste natürlich sofort, was es war. Herzkrankheiten liegen bei uns in der Familie. Mein Großvater ist an einer Herzattacke gestorben, kurz nachdem sein Buch erschienen war. Aber anders als er habe ich immer gesund gelebt, habe auf gute Ernährung und ausreichend Bewegung geachtet. Es muss am Schock gelegen haben - der Schock, sie zu sehen, oder zumindest die Annahme, sie gesehen zu haben … Etwas zu sehen, was unmöglich ist …«
Er brach ab, dann sammelte er sich und fuhr fort: »Jedenfalls griff ich sofort nach dem Telefon, um den Notruf zu wählen, aber … das Telefon … es sprang von meinem Schreibtisch herunter.«
Ich starrte ihn an. Irgendwie tat er mir jetzt leid. Ich meine, immerhin war er ermordet worden, genau wie Jesse. Und mehr oder weniger durch dieselbe Hand.
»Ich kam einfach nicht dran«, sagte Clive Clemmings traurig. »Also, ans Telefon. Und das … das ist das Letzte, woran ich mich erinnere.«
Ich leckte mir über die Lippen. »Was haben Sie da reingesprochen?«, fragte ich. »Ins Diktiergerät. Kurz bevor Sie Maria de Silva gesehen haben, meine ich.«
»Was ich … Ach so, natürlich. Dass es meiner Meinung nach sinnvoll sein könnte, den Fall de Silva neu aufzurollen. Weil vielleicht doch etwas dran ist an der Theorie, die Sie mir vorgetragen haben und an die mein Großvater schon immer geglaubt hatte …«
Ich schüttelte den Kopf. Unfassbar.
»Sie hat sie umgebracht«, murmelte ich.
»Oh.« Jetzt blinzelte Dr. Clemmings nicht mehr, und an seiner Krawatte nestelte er auch nicht mehr herum. Er saß nur da und sah aus wie eine Vogelscheuche, aus der jemand den Stecken gezogen hatte. »Ja. Das kann man wohl so sagen. Aber nur im übertragenen Sinne. Ich meine, im Grunde war es der Schock. Aber sie hat ja nicht selber …«
»Sie wollte verhindern, dass Sie irgendjemandem erzählen, was ich Ihnen gesagt habe.« Trotz der Kopfschmerzen wurde ich wieder wütend. »Und Ihren Großvater
hat sie wahrscheinlich auf genau die gleiche Weise umgebracht.«
Jetzt blinzelte er wieder fragend. »Meinen … meinen Großvater? Glauben Sie wirklich? Also, ich muss schon sagen … Er starb sehr überraschend, aber es gab keinerlei Hinweise …« Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. »Oh. Jetzt verstehe ich. Sie glauben, Maria de Silva Diego hat meinen Großvater umgebracht, damit er seine Theorie bezüglich des Verschwindens ihres Vetters nicht weiterverbreiten konnte?«
»So könnte man es auch formulieren«, sagte ich. »Sie wollte nicht, dass er herumerzählt, was Jesse in Wahrheit zugestoßen ist.«
»Jesse?«, fragte er. »Wer ist Jesse?«
Wir schraken beide zusammen, als es an der Tür klopfte.
»Suze?«, rief mein Stiefvater. »Darf ich reinkommen?«
Clive Clemmings dematerialisierte sich hastig. Als ich »Herein!« rief, machte Andy die Tür auf und blieb wie bedröppelt auf der Schwelle stehen. Komisch, er kam sonst nie zu mir ins Zimmer, außer um irgendwas zu reparieren oder so.
»Ähm … du hast … du hast Besuch«, stammelte er. »Pater Dominic ist …«
Da tauchte Pater Dom schon hinter ihm auf.
Was ich jetzt tat, war mir selbst unerklärlich. Offenbar war dieser alte Herr mir in den sechs Monaten, seit wir uns kannten, doch schon extrem ans Herz gewachsen.
Jedenfalls hüpfte ich bei seinem Anblick unwillkürlich
vom Fenstersims herunter und stürzte mich in seine Arme. Pater Dominic schien angesichts dieses unverhohlenen Gefühlsausbruchs ziemlich überrascht zu sein, weil ich mich sonst eher reserviert gab.
»Oh, Pater Dom«, raunte ich in sein Revers. »Ich freu mich so, Sie zu sehen!«
Und das war ganz ehrlich gemeint. Endlich - endlich! -
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