Susannah 6 - Auch Geister sind romantisch
Gespräch war wirklich ein hartes Training gewesen. Auf der psychischen Ebene. »Ich bin nicht diejenige, die über deine Sünden zu richten hat.«
»Warum nicht? Du hast doch auch kein Problem damit, über mich als Mensch zu urteilen?«
Den Punktsieg gönnte ich ihm nicht. »Dein Großvater hat mich gewarnt. Als er herausgefunden hatte, was für Kräfte Mittler haben, hat er begonnen, sich wie Gott aufzuspielen. Und schau nur, wohin ihn das gebracht hat. So will ich nicht enden.«
Paul sah mich blinzelnd an. Er hatte anscheinend wirklich geglaubt, dass ich fähig wäre, seine Seele rauszukicken. Jetzt hatte ich ihm wohl den Wind aus den Segeln genommen. Jedenfalls wirkte er so durcheinander wie ich vorhin.
»Siehst du jetzt, dass dein ganzer Ich-springe-zurück-in-die-Vergangenheit-und-rette-Jesse-Plan vollkommen sinnlos ist? Erstens kannst du gar nicht durch die Zeit reisen, wenn die Person, der du helfen willst, deine Hilfe gar nicht möchte. Und glaub mir, Jesse braucht deine Hilfe nicht. Und zweitens hatte ich nie vor, deinen Körper zu stehlen und ihn Jesse zu geben, Paul. Aber bitte, wenn es dich glücklich macht, kannst du es dir meinetwegen gern weiter einreden.«
Zu spät erkannte ich, dass ich nicht ganz so schnippisch hätte sein sollen. Dafür war es zu früh. Denn als ich an Paul vorbeiging und dabei sogar verächtlich meine Haare nach hinten schleuderte, um noch einen draufzusetzen, drehte er durch. Bevor ich michs versah, schnellte seine Hand vor und packte mich am Arm.
»Oh nein«, knurrte er. »So leicht kommst du mir nicht davon!«
Doch da täuschte er sich. Denn schon im nächsten Moment war Pauls Hand von meinem Arm verschwunden und ihm auf den Rücken gelegt. Das sah sehr schmerzhaft aus.
»Hat dir noch niemand gesagt«, hörte ich Jesses halb amüsierte Stimme, »dass ein wahrer Gentleman eine Dame niemals so anfasst?«
Was ich ziemlich lustig fand, wenn man bedachte, wo Jesse mich bei unserem letzten Treffen so angefasst hatte … Aber das erwähnte ich lieber nicht.
»Jesse«, sagte ich stattdessen. »Schon gut, du kannst ihn loslassen.«
Doch Jesse lockerte den Griff nicht. Wäre jetzt jemand zufällig vorbeigekommen, hätte er Paul mit einer Hand auf dem Rücken und mit schmerzverzerrtem Gesicht leicht gebeugt stehen sehen. Denn natürlich konnten nur er und ich den Geist sehen, der ihn gepackt hatte.
»Ich wollte ihr nicht wehtun«, ächzte Paul. »Wirklich nicht.«
Jesse schaute mich fragend an.
»Hat er dich verletzt, Susannah?«
Ich schüttelte den Kopf. »Alles in Ordnung.«
Jesse hielt Pauls Arm noch ein paar Sekunden im Polizeigriff – wahrscheinlich nur um zu demonstrieren, dass er es konnte –, dann ließ er los. Und zwar so plötzlich, dass Paul das Gleichgewicht verlor und mit Händen und Knien auf dem Kopfsteinpflaster landete.
»Du hättest ihn nicht extra rufen müssen«, sagte Paul mit augenscheinlich verletztem Stolz.
»Habe ich auch gar nicht.« Das entsprach der Wahrheit.
»Musste sie nicht«, sagte Jesse, der sich nun an eine der Säulen lehnte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah ungerührt zu, wie Paul sich aufrappelte und abklopfte.
»Sondern? Hast du eine atmosphärische Störung gespürt oder was?«, fragte Paul ärgerlich.
»So ähnlich.« Jesse schaute zwischen Paul und mir hin und her. »Ist da irgendetwas zwischen euch, was ich wissen sollte?«
»Nein«, sagte ich schnell. Ein bisschen zu schnell vielleicht, wenn ich Jesses hochschnellende Augenbraue – die mit der Narbe – richtig deutete.
Paul lachte dreckig.
»Na, dann wünsche ich euch beiden eine fantastische Beziehung. Wo ihr jetzt schon so ehrlich zueinander seid!«
Wortlos starrte Jesse Paul aus zusammengekniffenen Augen an, was diesen zumindest vorübergehend verstummen ließ.
Dann richtete Jesse seinen durchdringenden Blick auf mich.
»Da ist nichts«, stotterte ich, während eine leichte Panik in mir aufstieg. »Paul wollte nur … er wollte dir etwas antun, aber er hat es sich anders überlegt. Nicht wahr, Paul?«
»Nein, eigentlich nicht«, sagte Paul. »Hey, ich hab eine Idee: Fragen wir doch Jesse mal, was er von der ganzen Sache hält! Sag mal, Jesse, was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass ich …«
»Nein!«, unterbrach ich ihn mit einem Aufschrei. Meine Kehle war staubtrocken. »Paul, das ist doch jetzt wirklich nicht nötig! Jesse wird …«
»Aber Suze …« Paul sprach mit mir wie mit einer Dreijährigen. »Überlassen wir doch
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