Susannah 6 - Auch Geister sind romantisch
sei ein alter Kunstgegenstand aus den Zeiten, als unser Haus das einzige Hotel in der Gegend war (»Pension« wäre der sehr viel passendere Ausdruck gewesen), und ihr Alter werde von den ortsansässigen Geschichtswissenschaftlern auf etwa 150 Jahre geschätzt.
Ungefähr so lang, wie mein Lover schon tot war.
»Wie viel höre ich für diese Gürtelschnalle aus Sterlingsilber?«, rief Andy in die Menge. »Echte, alte Handwerkskunst. Sehen Sie nur die Detailverliebtheit in diesem eingravierten ›D‹.«
Shannon, die immerhin einen Moment still gewesen war, beugte sich zu mir herüber. »Sag mal, dein Bruder, spricht der ab und zu mal über mich? Dave, meine ich?«
Lustlos schaute ich meinem Stiefvater zu. Die Sonne brannte auf uns herab, und ich hatte Schwierigkeiten, mich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf meinen Wunsch, jetzt lieber am Strand zu sein.
»Keine Ahnung«, sagte ich. Ich konnte Shannons Leid verstehen. Sie hatte sich in David verguckt. Und nun wollte sie wissen, ob sie ihre Zeit verschwendete oder nicht.
Ich als Schwester des Objekts ihrer Begierde hatte dazu nur einen einzigen Kommentar: igitt. David war außerdem viel zu jung für eine Freundin.
»Ein gewisser Herr vom Geschichtsmuseum – ja, glaub mal nicht, ich seh dich nicht, Bob! …«, fuhr Andy lachend fort, »… geht sogar so weit zu behaupten, dass dieser Gürtel einmal dem Diego-Clan gehört hat – einer alten, sehr angesehenen Familie, die sich vor etwa zweihundert Jahren hier in der Gegend niedergelassen hat.«
»Angesehen«, meine Fresse. Die beiden Mitglieder der Diego-Familie, mit denen (oder deren Geistern) Bekanntschaft zu schließen ich das zweifelhafte Vergnügen gehabt hatte, waren Diebe und Mörder gewesen.
»Nicht nur wegen dieser fein ziselierten Arbeit«, sprach Andy weiter, »sondern auch wegen seiner Herkunft halte ich dieses Stück für ein wertvolles Sammlerstück … Und wer weiß, vielleicht ist sein nächster stolzer Besitzer schon hier und heute unter uns.«
»David spricht zu Hause nicht so viel über Mädchen«, sagte ich zu Shannon. »Jedenfalls nicht mit mir.«
»Oh.« Shannon klang betrübt. »Aber glaubst du, wenn er ein Mädchen toll findet, dass das dann so eine ist wie … na ja, so wie ich?«
»Startgebot für dieses wunderbare antike Schmuckstück: einhundert Dollar«, hörte ich Andy sagen. »Einhundert Dollar. Okay, da haben wir einhundert. Höre ich hundertfünfundzwanzig? Irgendjemand hundertfünfundzwanzig?«
Ich dachte über Shannons Frage nach. David und eine Freundin? David war der Jüngste meiner Stiefbrüder. Ich konnte ihn mir ebenso wenig mit einem Mädchen vorstellen wie hinter dem Steuer eines Autos oder auf dem Fußballfeld. Er war einfach nicht der Typ dafür.
»Dreihundertfünfzig«, rief Andy. »Höre ich dreihundertfünfzig?«
Aber eines Tages würde David wahrscheinlich doch mal Auto fahren können. Ich konnte es ja auch, und ich erinnere mich noch genau, dass meine Familie diesem Tag mit Schrecken entgegengeblickt hatte. Eines Tages würde auch David sechzehn werden und all die Dinge tun dürfen, die seine älteren Brüder Jake und Brad und natürlich ich schon längst machten. So was wie Auto fahren eben. Oder Trigonometrie belegen. Oder mit Leuten des anderen Geschlechts herumknutschen.
»Meine Güte, Bob«, rief Andy ins Mikrofon. »Du hast echt nicht übertrieben mit deiner Vorhersage, dass das hier das wichtigste Stück dieser Auktion werden würde, was? Wir sind jetzt bei siebenhundert Dollar. Höre ich … okay, siebenfünfzig. Höre ich acht?«
»Aber klar«, sagte ich, zu Shannon gewandt. »Ich meine, warum sollte David dich nicht mögen? Also, wenn er schon irgendjemanden lieber mag als alle anderen, warum nicht dich? Damit sage ich jetzt nicht, dass er das tut. Also, nicht dass ich wüsste.«
»Echt?« Shannon schaute besorgt drein. »Weil, David ist ziemlich intelligent. Vielleicht mag er ja nur schlaue Mädchen. Und ich bin nicht gerade die Beste in Mathe.«
»Ich bin mir sicher, dass David nicht vorrangig daran interessiert ist«, gab ich zur Antwort, auch wenn ich das gar nicht wirklich wissen konnte. »Solange du – na ja, du weißt schon, nett bist.«
»Echt?«, fragte Shannon und wurde rot. »Glaubst du?«
Gott, was hatte ich denn jetzt schon wieder gesagt?
Zum Glück wurde Shannons Gedankengang jäh von dem Geräusch des Auktionshammers unterbrochen, den Andy gerade krachend niedersausen ließ. »Verkauft für tausendeinhundert
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