Susannah 6 - Auch Geister sind romantisch
seinen Arm um meine Hüfte, spürte, wie er mich an sich heranzog. Schon besser. Viel bessere Kussposition.
»Eins …«
Ich spürte seinen Herzschlag an meiner Brust. Wie war das nur möglich? Sein Herz hatte doch vor hundertfünfzig Jahren aufgehört zu schlagen.
»Zwei …«
Flammen züngelten um meine Fersen herum. Gott, war das heiß. So wie Jesse. Küss mich, küss mich, warum küsste er mich nicht endlich?
»Drei!«
Dann schwebte ich kurz und gleich darauf begann ich zu fallen. Dieses Hochgefühl, dieser Adrenalinrausch, das lag gar nicht am Küssen. Wir befanden uns im freien Fall.
Die kalte Luft, die mir dabei entgegenwehte, brachte mich wieder zu Verstand. Jesse und ich segelten zu Boden, tief, tief unter uns.
Ich tat das Einzige, was mir in den Sinn kam: Ich schloss die Augen, klammerte mich an Jesse und dachte an zu Hause.
Kapitel 19
I ch landete mit einer solchen Wucht, dass mir der Atem wegblieb. Es war, als würde mir jemand eine Eisenbahnschiene in die Rippen rammen. Ich weiß, wovon ich spreche, das Vergnügen hatte ich nämlich schon mal. Wie betäubt lag ich da, unfähig zu atmen, unfähig, mich zu bewegen. Alles war nur noch Schmerz.
Dann kam ich langsam zu Bewusstsein. Ich konnte meine Beine bewegen. Das war schon mal ein gutes Zeichen. Meine Arme auch. So weit, so gut. Ich bekam wieder Luft – es schmerzte, aber es ging.
Dann hörte ich die Grillen.
Nicht das panische Wiehern der Pferde, die sich nur widerwillig aus ihren brennenden Boxen zerren ließen. Nicht das Tosen des Feuers um mich herum. Nicht einmal meinen eigenen schweren Atem.
Ich hörte Grillen. Grillen, die um die Wette zirpten, als gäbe es kein morgen. Ich öffnete die Augen.
Statt Rauch und Feuer sah ich nur Sterne, Hunderte von Sternen in der kalten, klaren Nacht über mir.
Ich drehte den Kopf.
Da stand mein Haus.
Nicht Mrs O’Neils Pension. Nein, mein Haus. Ich lag im Garten und schaute auf die Terrasse, die Andy gebaut hatte. Jemand hatte die Lichter im Whirlpool angelassen.
Zu Hause. Ich war zu Hause.
Und am Leben. Mir war es schon mal besser gegangen, aber ich war definitiv am Leben.
Und ich war nicht allein. Jemand kniete sich plötzlich neben mich und verdeckte mir den Blick auf die Poollichter. Ich hörte meinen Namen.
»Suze? Suze, ist alles in Ordnung?«
Paul zupfte an mir herum und piekte mich an lauter Stellen, die schmerzten. Ich wollte seine Hand wegschlagen, aber er ließ nicht locker, bis ich ihn endlich anherrschte: »Hör auf damit, Paul!«
»Gott sei Dank.« Er ließ sich neben mir ins Gras sinken. Sein Gesicht wirkte bleich im Licht des Mondes. Bleich, aber eindeutig erleichtert. »Du hast dich lange nicht bewegt.«
»Ich bin okay«, sagte ich.
Dann fiel mir ein, dass das gar nicht stimmte. Jesse … ich hatte Jesse verloren. Für immer. Ein Schmerz, der noch viel schlimmer war als der von der unsanften Landung, durchzuckte mich und jagte mir alles Leben aus dem Herzen.
Jesse. Ich hatte ihn verloren. Für immer.
Moment mal.
Wieso erinnerte ich mich dann noch an ihn?
Ich stützte mich auf die Ellbogen und ignorierte den Schmerz, der mir durch den ganzen Körper schoss.
Da war er. Er lag bäuchlings auf dem Rasen, nur ein paar Schritte entfernt. Er bewegte sich nicht. Und er … leuchtete auch nicht.
Das Leuchten war weg.
Ich schaute Paul an, der meinen Blick erwiderte.
»Frag mich nicht«, sagte er geradezu widerwillig. »Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte. Ihr wart beide schon hier, als ich kam. Ich habe keine Ahnung, wie das sein kann …«
In diesem Moment robbte ich auch schon auf allen vieren durch das feuchte Gras zu Jesse hinüber. Ich glaube, ich weinte dabei. Ich bin mir nicht mehr sicher. Aber mein Blick war definitiv verschwommen.
»Jesse!« Endlich kam ich bei ihm an.
Er war es, er war es wirklich. Der echte Jesse. Lebend-Jesse.
Auch wenn er jetzt nicht gerade einen lebendigen Eindruck machte. Ich fühlte an seinem Hals nach dem Puls. Er war zu spüren, wenn auch nur schwach. Sein Atem ging flach. Ich hatte Angst, ihn zu berühren, ihn zu bewegen …
Aber die Angst, es nicht zu tun, war stärker.
Ich drehte ihn auf den Rücken und schüttelte ihn. »Jesse, ich bin’s, Suze! Wach auf, Jesse, wach auf!«
»Es hat keinen Zweck, Suze«, sagte Paul. »Das hab ich auch schon probiert. Er ist zwar da … aber irgendwie auch nicht.«
Ich nahm Jesses Kopf in meine Arme und wiegte ihn sacht. Nur vom blassen Mondlicht beschienen, wirkte sein Gesicht wie
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