Susannah - Auch Geister koennen kuessen
sodass ich doch noch Gelegenheit bekam, mich aus dem Bett zu quälen und mich in irgendwelche Klamotten zu schmeißen, ohne sie mir vorher groß anzuschauen. Als ich die Treppe runterschwankte, war mir, als hätte mir jemand einen Sack Steine ein paarmal an den Kopf gedonnert. Hatschi erklärte gerade den anderen, Schwester Ernestine hätte ihm gedroht, wenn er noch eine Morgenversammlung verpasse, würde er um ein Jahr zurückgestuft.
Das war der Augenblick, als mir einfiel, dass die Schlüssel für den Rambler immer noch in der Tasche meiner Lederjacke waren, wohin ich sie in der Nacht gesteckt hatte.
Ich schlich wieder die Stufen hinauf und tat so, als hätte ich die Schlüssel oben auf dem Treppenabsatz gefunden. Das löste Jubel aus, aber auch weiteres Gegrummel, da Schlafmütz Stein und Bein geschworen hatte, er habe sie in der Küche an den Schlüsselhaken gehängt, und sich jetzt nicht erklären konnte, wie sie auf die Treppe gelangt waren. »Wahrscheinlich war das Daves Geist«, sagte Hatschi und grinste zu Schweinchen Schlau rüber, dem das sichtlich peinlich war.
Dann quetschten wir uns alle ins Auto und brausten davon.
Natürlich kamen wir zu spät. An der Junipero Serra Mission Academy fängt die Morgenversammlung pünktlich um acht an. Und wir trudelten erst so zwei Minuten nach acht ein. Die ganze Veranstaltung besteht daraus, dass alle Schüler sich auf dem Schulhof aufstellen müssen, in strikt nach Geschlechtern getrennten Reihen, Jungs auf der einen Seite, Mädchen auf der anderen, als wären wir Quäker oder so was. Und dort müssen wir eine geschlagene Viertelstunde ausharren, bis die Anwesenheitsappelle und Ankündigungen und so weiter alle durch sind. Als wir in der Schule ankamen, hatte die Versammlung natürlich bereits begonnen. Ich hatte eigentlich dran vorbeischleichen und gleich in Pater Dominics Büro gehen wollen, aber denkste. Dazu kam es natürlich nicht. Schwester Ernestines Adleraugen entging unser spätes Eintrudeln nicht, und sie wandte den Blick so lange nicht von uns ab, bis jeder sich in seine Reihe eingegliedert hatte. Was Schwester Ernestine über mich in ihr kleines schwarzes Büchlein kritzelte, war mir egal, aber dass an ein Durchkommen zum Büro des Schulleiters nicht zu denken war, war leider nicht zu übersehen: Gelbes Absperrband verbarrikadierte jeden Säulengang, sodass man nicht mehr in den Innenhof kam. Außerdem wimmelte es überall von Polizisten.
Ich reimte mir im Kopf zusammen, was passiert sein musste. Bestimmt hatten die Nonnen und Priester, als sie zur Morgenandacht (wie sie den ersten Gottesdienst des Tages nennen) gestiefelt waren, bemerkt, dass die Statue ihres Kirchengründers enthauptet worden war, der Brunnen fast kein Wasser mehr führte, die Bank, auf der ich gesessen hatte, umgekippt und zerstört und die Tür zu Mr Waldens Klassenraum in tausend Splitter zerlegt war.
Und da waren sie, verständlicherweise, ausgeflippt und hatten die Polizei gerufen. Jetzt krabbelten überall Uniformierte herum, sicherten Fingerabdrücke und maßen und rechneten alles Mögliche aus, zum Beispiel die Entfernung zwischen Junipero Serras Kopf und seinem Körper oder die Geschwindigkeit, mit der er sich bewegt haben musste, um die vielen Löcher in die fünf Zentimeter dicke Holztür schlagen zu können. Ich sah, wie ein Mann mit einer dunkelblauen Windjacke, die auf dem Rücken die Buchstaben CBTSPD trug – Carmel-by-the-Sea Police Department? – sich mit dem sichtlich erschöpften Pater Dominic unterhielt. Ich versuchte vergeblich, seinen Blick aufzufangen, aber vermutlich würde ich einfach bis nach der Versammlung warten müssen, um mich zu ihm zu schleichen und mich entschuldigen zu können.
Schwester Ernestine ergriff auf der Morgenversammlung das Wort und verkündete, Vandalen seien an allem schuld. Sie seien in Mr Waldens Klassenzimmer eingedrungen und hätten überall in der Schule wild gewütet. Glück im Unglück, sagte man uns, dass der goldene Kelch für den geweihten Wein und das Tablett für die Hostien nicht gestohlen worden waren, sondern brav in dem kleinen Schrein hinter dem Altar ruhten. Die primitiven Vandalen hatten den Gründer unserer Schule zwar enthauptet, alles Wertvolle aber unangetastet gelassen. Falls wir etwas über diesen entsetzlichen Schändungsakt wüssten, sollten wir dies unverzüglich melden – wenn schon nicht vor aller Augen, dann zumindest anonym. Monsignore Constantine würde den ganzen Vormittag für Beichten zur
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