Susannah - Auch Geister koennen kuessen
eben. Es war schon schwer genug gewesen, nach acht Stunden Schlaf aufzustehen und zur Schule zu gehen – wie schwer würde es mir jetzt fallen, nach nur vier Stunden?
Ich schlich so leise wie möglich ins Haus. Zum Glück schliefen alle außer dem Hund tief und fest. Und der sah von der Couch, auf der er fläzte, nur kurz hoch und wedelte, als er mich erkannte. Toller Wachhund. Außerdem mochte Mom es nicht, wenn er auf ihrer weißen Couch schlief. Aber ich hatte nicht vor, mir Max zum Feind zu machen, indem ich ihn jetzt runterscheuchte. Wenn sein ungestörtes Verbleiben auf der Couch der einzige Preis war, den ich dafür bezahlen musste, dass er die Familie nicht über meinen nächtlichen Ausflug informierte, dann war mir das die Sache wert.
Ich schleppte mich die Treppe hoch und dachte dabei die ganze Zeit darüber nach, was ich in Sachen Heather unternehmen sollte. Am besten wäre es, ganz früh aufzustehen und in der Schule anzurufen, um Pater Dominic vorzuwarnen: Er musste Bryce abfangen, sobald der einen Fuß aufs Schulgelände setzte, und ihn nach Hause schicken. Jetzt hätte ich nicht mal mehr was gegen die Läuse-Ausrede gehabt. Auf lange Sicht zählte nur, dass Heather ihren Racheplan nicht in die Tat umsetzen konnte.
Aber der Gedanke, früh aufzustehen, wofür auch immer – und sei es auch, das Leben meines zukünftigen Samstagabend-Begleiters zu retten –, erschien mir wahrlich wenig verlockend. Jetzt wo der Adrenalinschub verebbt war, merkte ich erst, wie todmüde ich war. Ich taumelte ins Bad, um dort in meinen Schlafanzug zu schlüpfen. Ich war mir zwar ziemlich sicher, dass Jesse mir nicht hinterherspionierte, aber hey, er hatte mir auch nicht gesagt, woran er gestorben war, und ich wollte einfach auf Nummer sicher gehen. Vielleicht war er ja wegen Spannens gehenkt worden, das soll vor hundertfünfzig Jahren ab und zu mal vorgekommen sein.
Erst als ich den Verband an meinem Handgelenk aufmachte, warf ich einen Blick auf das, was Jesse mir da um die Wunde geschnürt hatte.
Es war ein Taschentuch. Vor Erfindung der Papiertaschentücher hatten alle Leute so was bei sich getragen, klar. Und sie hatten um die Dinger einen ziemlichen Aufwand getrieben, hatten Initialen eingestickt und so, damit die Teile nicht beim Waschen mit anderen verwechselt wurden.
Jesses Initialen waren allerdings nirgendwo zu finden, stellte ich fest, nachdem ich das Tuch im Waschbecken ausgespült und so gut wie möglich von meinem Blut gereinigt hatte. Es war ein großes weißes – na ja, jetzt leicht rosafarbenes – Leinentuch, an allen Seiten von zarter Spitze eingesäumt. Ziemlich feminin für einen Mann. Vielleicht hätte ich mir jetzt um Jesses sexuelle Neigung Sorgen gemacht, wenn ich nicht die Initialen in der Ecke entdeckt hätte. Die Stiche waren winzig, weißer Garn auf weißem Stoff, doch die Buchstaben selbst waren sehr groß und kunstvoll geschwungen: MDS. Ja, genau, MDS. Nirgendwo ein J.
Seltsam. Sehr seltsam.
Ich hängte das Taschentuch zum Trocknen auf. Darüber, dass jemand es sehen könnte, musste ich mir keine Sorgen machen. Erstens benutzte außer mir niemand dieses Badezimmer und zweitens würden andere das Tuch genauso wenig sehen können wie Jesse. Es würde morgen immer noch unangetastet hier hängen. Vielleicht würde ich es ihm nur unter der Bedingung zurückgeben, dass er mir eine Erklärung zu den drei Buchstaben lieferte. MDS.
Auf das Nächstliegende kam ich erst, als ich schon halb eingeschlafen war. MDS musste ein Mädchen gewesen sein. Klar, daher auch die Spitze und die geschwungene Stickschrift. War Jesse nicht, wie bisher angenommen, bei einer Schießerei ums Leben gekommen, sondern bei einer Art Liebesstreit?
Der Gedanke verstörte mich sehr, ich weiß auch nicht, warum. Er hielt mich sogar ganze drei Minuten wach. Doch schließlich rollte ich mich auf die Seite, sehnte mich ganz kurz in mein altes Bett zurück und schlief dann ein.
KAPITEL
13
M ein Vorsatz war also gewesen, früh aufzustehen und Pater Dominic vor Heather zu warnen. Aber gute Vorsätze sind eben nur so gut wie die Menschen, die sie fassen, und ich gehöre anscheinend nicht zur Kategorie guter Menschen, denn ich wachte erst auf, als meine Mutter mich wach rüttelte, und da war es schon halb acht und meine Mitfahrgelegenheit würde ohne mich starten müssen.
Dachten sie zumindest. Dann allerdings stellte Schlafmütz fest, dass er die Schlüssel für den Rambler verlegt hatte, was alles ziemlich verzögerte,
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