Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
nächsten Augenblick kam sie jedoch ganz entsetzt wieder herausgestürzt. Ihr Gesicht war weiß wie die Wand.
»Da drin - wird jemand operiert!« keuchte sie.
»Connie!« Susys Stimme war scharf. »Nimm dich zusammen! Du mußt, hörst du?«
Connie hielt sich an Fräulein Lees Pult fest und schloß für einen Moment die Augen. »Alles in Ordnung«, sagte sie dann leise. »Hab keine Angst. Ich werde mich wieder fangen.«
Susy wandte sich zu Hilda, die Connie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. »Hilda! Daß Sie kein Wort davon weitererzählen! Es hat nichts zu sagen. Connie fühlte sich in den letzten Tagen nicht ganz wohl.«
»Schon gut. Ich würde niemals .«
Sie wurde durch Luise unterbrochen, die mit schamrotem Gesicht angestelzt kam. »Sie wußten es die ganze Zeit über!« sagte sie böse. »Warum haben Sie mir nichts gesagt? Dies ist kein Ort für alberne Scherze. Was ist denn mit Ihnen los, Halliday?«
Susy hielt den Atem an.
»Nichts«, antwortete Connie ruhig.
Susy atmete wieder.
»An einem anderen Ort hätte ich die Sache natürlich sofort durchschaut«, fuhr Luise fort. »Aber ich glaubte nicht, daß hier .«
»Seid ihr bereit, Mädchen?« fragte Fräulein Lee, die gerade zurückkehrte. »Dann können wir mit unserem Rundgang beginnen.«
Die vier folgten ihr durch weiße Korridore, in zischende Sterilisationsräume mit dem scharfen Geruch von erhitztem Stoff, durch das Instrumentenzimmer mit den vielen Glasschränken an der Wand, in kleine Narkosezimmer mit ihrem süßlichen erstickenden Geruch.
Fräulein Lee erklärte, zeigte hierhin und dorthin, schärfte den Mädchen ein, sich dieses oder jenes zu merken. Als sie alle Nebenzimmer, die zu einem Operationssaal gehören, besichtigt hatten, sagte sie: »Und nun werden wir durch einige Operationsräume gehen.«
Susy sah zu Connie hin. Sie war immer noch sehr bleich, hatte sich jedoch offenbar etwas erholt. Vielleicht ging noch alles gut. Hoffentlich führte Fräulein Lee sie nicht gerade durch den Raum, aus dem Connie so überstürzt geflohen war.
Aber die Inspektorin zeigte ihren Schützlingen nur einige verlassene Operationssäle. Einer sah genau so aus wie der andere. Alle waren blendend weiß, sehr sauber und ordentlich. Fräulein Lee machte die Mädchen auf verschiedenes aufmerksam. Susys Sorge um Connie ließ allmählich nach. Sie atmete erleichtert auf, als Fräulein Lee sagte, daß sie jetzt nicht durch alle Räume zu gehen brauchten. Die Einrichtung wäre überall die gleiche, und sie hätten nicht mehr viel Zeit. Die Mädchen müßten sich vor allem noch ansehen, wie die verschiedenen Gegenstände auf dem Tisch einer Operationsschwester zu ordnen seien.
»Ich werde Sie jetzt der Obhut der Oberschwester, Fräulein Lester, übergeben, die Ihnen die Pflichten einer Operationsschwester erklären wird. Außer dem Herrichten der Tische werden Sie heute nicht viel lernen. Wenn Fräulein Lester Ihnen alles Nötige gesagt hat, werden Sie einer Blinddarmoperation beiwohnen. Dann gehen Sie wieder zu Ihren Stationen zurück.«
Sie sollten einer Blinddarmoperation beiwohnen! Ein Schauder überlief Susys Rücken. Nun mußte Connie aushalten. Es gab kein Entrinnen mehr. >Was soll ich bloß mit ihr machen?< dachte Susy verzweifelt. Sie konnte gar nichts tun, niemand konnte etwas tun. Connie mußte es allein durchstehen. Sie war immer furchtlos und tapfer gewesen. Jetzt, im entscheidenden Moment, durfte sie nicht versagen.
Susy hörte nur mit halbem Ohr auf das, was Fräulein Lester sagte. Sie hatte in den beiden Jahren ihrer Lehrzeit im Krankenhaus gelernt, sich zu konzentrieren, und folgte dem Vortrag trotz ihrer Sorge um Connie. Fräulein Lester erklärte, daß sie den Hergang jeder Operation genau kennen müßten, so daß sie bereits im voraus wüßten, was der Chirurg in jedem Augenblick brauche; daß sie nur zu dem operierenden Arzt sprechen dürften, wenn er sie ansprach, daß Nadeln, Faden, Klemmer und Gazetupfer auf dem Tisch der Operationsschwester immer in derselben Weise angeordnet wären. Auf diese Weise konnte sich jede Schwester auf dem Tisch zurechtfinden und ihn notfalls jederzeit von einer anderen übernehmen.
Während die Oberschwester in ihrem Vortrag fortfuhr, merkte sich Susy mechanisch, was sie wissen mußte. Dabei kreisten ihre Gedanken unaufhörlich um Connie. Connie durfte hier nicht versagen. Sie war imstande, das Krankenhaus zu verlassen, wenn sie sich beim Operieren als untauglich erweisen sollte. Und das
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