Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
sogleich wieder ihrer Arbeit zu. Fräulein Lester gefiel es offenbar, daß Dr.
Barry eine der neuen Schwestern zu einer Hilfeleistung heranzog. Sie machte keinerlei Anstalten, die Dose selbst zu holen, und lächelte dem jungen Chirurgen zu.
Susy ließ Connies Arm los. Diese stand mühsam auf, suchte zwischen den Dosen umher und ergriff Gott sei Dank die richtige. Dann ging sie langsam die Stufen hinunter, die Dose unsicher in der Hand haltend.
»Bringen Sie sie bitte hierher«, sagte Dr. Barry. »Nun nehmen Sie den Deckel ab. So ist’s recht.« Er tauschte einen Blick mit Fräulein Lester, einen Blick des gegenseitigen Verstehens zwischen zwei Lehrern. »Danke, Schwester Halliday.« Nun tauchte er seine Pinzette in die Dose und nahm zwei Rollen Katgut heraus. Eine fiel, anscheinend versehentlich, auf die Erde. »Entschuldigung!« murmelte er. »Legen Sie die Rolle bitte auf das Bord. Sie kann noch einmal sterilisiert werden.«
Connie bückte sich und tastete mit blinden Augen auf dem Boden umher. Die Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück. Als sie sich aufrichtete, hatten ihre Augen den leeren Ausdruck verloren und blickten wieder normal. Susy sprach innerlich einen Segen über Bill. Wie schnell er alles begriffen und das einzig Richtige getan hatte! Zwei Jahre in der Schwesternschule hatten Connie dazu erzogen, sofort und bedingungslos zu gehorchen. Ein Arzt brauchte etwas. Ihr schwindendes Bewußtsein sagte ihr, daß sie es holen mußte. Die Bewegung hatte sie wieder zu sich gebracht, und durch das Bücken war ihr das Blut in den Kopf gestiegen. Das hatte Bill großartig gemacht.
»Sie sind so klein, Schwester Halliday«, sagte er nun liebenswürdig. »Vom Stand aus können Sie bestimmt nicht gut sehen. Wenn Sie hier stehenbleiben, kann ich Ihnen viel besser zeigen, was ich tue.«
»Danke«, flüsterte Connie.
Susy erschrak. Das war nicht klug von Bill. Wenn Connie dort neben dem Tisch stehen mußte, würde sie bestimmt in Ohnmacht fallen.
Aber Susy kannte Bill schlecht. Er sprach nun direkt zu Connie und erzwang mit seiner Stimme ihre Aufmerksamkeit. Hin und wieder sah er auf und richtete seine tiefliegenden blauen Augen fest auf ihr Gesicht. Susy wußte seit langem, daß Bill gut sprechen konnte, wenn er in der richtigen Stimmung dazu war, aber so mitreißend und beredt wie heute hatte sie ihn noch nicht erlebt. Seine Worte wirkten eindringlich und überzeugend. Er nahm der Chirurgie alle äußeren Schrecken und pries sie in ihrer vollendeten Genauigkeit als einen wichtigen Zweig der Heilkunst.
Und Connie hörte zu, anfangs widerstrebend, dann mit wachsendem Interesse.
Als Bill die Narkoseschwester bat, dem Patienten mehr Äther zu geben, machte Connie eine überraschte Bewegung.
»Wollten Sie mich etwas fragen, Schwester Halliday?«
Connie nickte. »Verändert sich der Atem des Patienten nicht, wenn er mehr Äther braucht?« fragte sie in ihrer normalen Stimme. »Ich habe doch gar keine Veränderung bemerkt.«
»Sie haben richtig beobachtet. Aber bevor eine Veränderung der Atmung bemerkbar wird, tritt eine leichte Verkrampfung der Muskeln des Unterleibs ein.« Wie beiläufig fügte er hinzu: »Wollen Sie sich selbst davon überzeugen?«
Connie zögerte nur ganz kurz. Dann ging sie zu Susys Freude dicht an den Operationstisch heran - sehr vorsichtig, um nirgends anzustoßen - und spähte in den Einschnitt. Sie erbleichte nicht. Ihre Augen waren klar, beobachtend. Connie sah mit sachlichem Interesse einer Operation zu.
Susy lehnte sich zurück, erfüllt von tiefer Dankbarkeit für Bills kluges Eingreifen und von Bewunderung für Connies Schneid. Beruhigt sah sie zu, wie die Operation schnell und ohne Zwischenfälle beendet wurde. Von jetzt an würde mit Connie alles in Ordnung sein.
>Und nun kann ich endlich selber anfangen, etwas vom Operieren zu lernen<, dachte sie bei sich.
Bill ist schwierig
Susy suchte Bill. Sie wollte sich bei ihm dafür bedanken, daß er Connie gerettet hatte, bevor sie wieder zur Station zurückkehrte. Nach der Operation hatte er den Raum so schnell verlassen, daß sie keine Zeit mehr gefunden hatte, ihn anzusprechen. Und nun scheute sie sich beinahe, es zu tun.
In der Rolle des Chirurgen war Bill ihr fast wie ein Fremder vorgekommen, fern, glänzend und unnahbar. Die ehrfürchtige Haltung der Operationsschwester ihm gegenüber hatte diesen Eindruck noch verstärkt.
>Und was bin ich?< dachte Susy halb spöttisch, halb ernsthaft. >Ist es nicht vermessen von mir, zu
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