Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
solcher Hoheit sprechen zu wollen?< Aber dann tat sie es doch. Sie entdeckte Bill, als er die Operationsabteilung gerade verlassen wollte.
»Bill, warten Sie!« rief sie und lief durch den weißen Korridor.
Er drehte sich rasch um. Ohne die phantastische Bekleidung des Chirurgen war er wieder der alte, vertraute Bill. »Wozu die Eile?« fragte er mit seinem ernsthaften Lächeln.
»Ich wollte Ihnen etwas sagen.« Ein wenig atemlos stand sie vor ihm. »Ich wollte Ihnen danken - wegen Connie.«
»Ach, keine Ursache«, antwortete er leichthin. »Das arme Kind tat mir leid.«
»Das haben Sie fabelhaft gemacht!« Susy sah mit solch einem klaren und süßen Blick zu ihm auf, daß ihm der Atem stockte. »Sie dürfen nicht denken, daß Connie feige ist«, fuhr sie fort. »Sie hat eben sehr viel mehr Phantasie als andere, und .«
»Natürlich!« fiel er ihr beruhigend ins Wort. »Es wäre mir niemals eingefallen, Constance Halliday für feige zu halten. Im Gegenteil, ich finde sie äußerst tapfer, denn sie hat ihre Angst überwunden. Sie werden am besten verstehen, was das heißt, denn auch Sie sind tapfer.«
»Ich?«
»Ja, Sie. Haben Sie nicht damals auf Station 3 einer Schwester das Leben gerettet?«
»Das war etwas ganz anderes. Ich kam gar nicht dazu, an eine Gefahr zu denken. Wenn ich ...« Sie stockte. Wieder sah sie die wahnsinnigen Augen der Spanierin vor sich, sah die Hand, die nach dem Nachttisch griff. Sie schauderte.
»Susanne, Liebes!« Sein Ton war zärtlich. »Ich wollte Sie nicht
... «
»Störe ich?« fragte Dr. Lamson hinter ihnen. Sie drehten sich um.
»Ach, Sie sind es, Georg«, murmelte Bill.
»In der Tat, ich bin es«, antwortete Dr. Lamson vergnügt. Er zwirbelte eitel seinen Schnurrbart und lächelte Susy an.
»Die Aussicht auf die Korridorwand ist zauberhaft, nicht wahr?« Sein selbstgefälliges Wesen reizte Susy. »Wir können ja eine andere Aussicht für Sie arrangieren«, entgegnete sie ärgerlich. »Wie wäre es mit einem Spiegel, in dem Sie sich bewundern könnten?«
Dr. Lamson ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Seine braunen Augen glitten über Susys Haare. Dann wandte er sich zu Bill, dessen Gesicht sich leicht gerötet hatte.
»Die Kleine gefällt mir«, sagte er. »Sie gibt sich solche Mühe, abweisend zu sein, und gewinnt dadurch nur an Zauber. Finden Sie sie nicht auch bezaubernd, Barry?«
Susy lachte, weil sie Dr. Lamson ziemlich lächerlich fand. Aber Bill verstand ihr Lachen falsch. Seine Augen wurden kalt.
»Ja«, preßte er zwischen den Zähnen hervor. Dann nickte er Susy kurz zu und stelzte ohne ein weiteres Wort aus der Tür.
Dr. Lamson sah ihm erstaunt nach. »Huh! Was fehlt denn unserem kleinen Jungen? Hat ihm jemand sein Spielzeug weggenommen?«
»Er ist gewiß müde«, antwortete Susy äußerlich ruhig. Aber innerlich war sie erschrocken und - wider Willen - ein klein wenig amüsiert. Sie wollte nicht über Bill lachen, aber er war wirklich wie ein wütender kleiner Junge davongelaufen.
Nachdenklich machte sie sich auf den Weg zur Station. Zu dumm, daß sie so gar keine Ahnung davon hatte, wie man Männer behandeln mußte! Bill wurde immer schwieriger. Dabei mochte sie ihn so gern. Wenn er die Dinge doch so lassen wollte, wie sie waren! An Dr. Lamson dachte sie überhaupt nicht mehr.
Ihre Sorge, daß Bill in seiner üblen Laune verharren könnte, schien jedoch unbegründet zu sein. Am nächsten Tag war er wieder so wie gewöhnlich - freundlich, liebenswürdig und geschäftig.
Susy stellte sehr bald fest, daß die Arbeit in der Operationsabteilung im Grunde nicht viel anders war als überall. In jeder Abteilung des Krankenhauses gab es einen gewissen gesetzmäßigen Tagesablauf, in den man sich rasch eingliederte. Jeden Morgen klingelte auf der Station das Telefon und forderte Schwester Barden für die Operationsabteilung an. Wenn sie dort eintraf, las sie zuerst die Liste der täglichen Operationen durch. Danach verrichtete sie verschiedene Arbeiten, die der Vorbereitung von Operationen dienten.
Am Ende der ersten Woche durfte sie einer erfahrenen Schwester bei einer kleineren Operation zur Hand gehen. Dabei hatte sie sehr wenig zu tun. Sie öffnete ein Gazepäckchen und reichte dem operierenden Arzt ein paar Instrumente zu. Obwohl sie sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte sie nicht sehen, was er machte. Sie stand herum und fühlte sich überflüssig. Es war recht enttäuschend, fand sie. Aber das lag wohl daran, daß sie erst eine Anfängerin
Weitere Kostenlose Bücher