Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
Krankenhaus bedeutete Connie mehr als den meisten anderen Mädchen. Es war einfach lebensnotwendig für sie, eine Aufgabe, für die es sich zu arbeiten lohnte, in der sie voll und ganz aufging. Wenn sie nun ein Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit hatte ... >Nein, nein!< stöhnte Susy innerlich. >Das darf nicht sein, Connie!<
Eine Tür hinter ihnen wurde geöffnet. Eine Schwester teilte mit, daß die Blinddarmoperation sogleich beginnen werde. Fräulein Lester erhob sich und forderte die Mädchen auf, ihr zu folgen. Schweigend machten sie sich auf den Weg. Connies Lippen bebten, als sie den Operationssaal betraten und auf den kleinen, mit einem Messinggeländer versehenen Beobachtungsstand kletterten. Ihre Augen waren unnatürlich groß. Susy faßte ihre Hand, die eiskalt war.
»Connie!« flüsterte sie. »Nimm dich doch zusammen!«
Sie erhielt keine Antwort.
An Susys anderer Seite saßen Hilda und Luise steif auf den Kanten ihrer Stühle.
Nun erschienen zwei Operationsschwestern an der Tür und rollten ihre mit Tüchern zugedeckten Tische in den Saal. Ein Krankenpfleger folgte mit dem fahrbaren Bett, auf dem tief schlafend der Patient lag. Daneben ging die Narkoseschwester mit dem Narkoseapparat.
»Nervös, Susy?« fragte Hilda flüsternd.
»Nein. Sie?«
»Ach wo! Ich war schon ein paarmal hier unten.«
Connie saß da, als wäre sie aus Stein gehauen.
Ein Assistenzarzt trat ein und schob seinen Tisch mit den Instrumenten zurecht. Und dann kam die große Gestalt des Chirurgen mit schnellen Schritten in den Saal. Von seinen nackten Armen tropfte Seifenwasser. Es war Bill Barry.
Als er Susys Blick begegnete, durchfuhr ihn ein kaum merklicher Ruck. Er wandte sich um und tauchte seine Hände in eine Schüssel mit Alkohol. Fräulein Lee beeilte sich, ihm in den Mantel zu helfen. Eine Schwester hielt seine Gummihandschuhe bereit. Der Krankenpfleger band ihm die Maske um. Was diese Menschen taten, waren alltägliche Handreichungen. Aber die Art, wie sie es taten, beeindruckte Susy mehr als alles, was Bill hätte sagen oder tun können. >Es ist fast, als gehöre er zum Stab<, dachte sie. >Ich wußte gar nicht, daß er eine so wichtige Persönlichkeit ist.<
Dr. Barry blickte zu den grauweißen Trachten auf dem Beobachtungsstand empor.
»Wie hübsch!« sagte er liebenswürdig, während seine Augen über der Maske unmerklich zwinkerten. »Vier neue Schwestern als Zuschauer.« Er wandte sich der Narkoseschwester zu. »Alles in Ordnung?«
»Ja, Dr. Barry.«
Die Operationsschwestern hatten den Unterleib des Patienten mit sterilen Tüchern zugedeckt. Nur ein kleines Viereck bräunlicher, mit Jod bepinselter Haut war sichtbar. Dr. Barry nahm das glitzernde Messer in die Hand.
Connies Hände krampften sich um das Messinggeländer. Sie stöhnte leise. Susy rückte näher an sie heran, bis ihre Schultern sich berührten.
Die Hand mit dem Gummihandschuh machte eine rasche sichere Bewegung. Auf dem braunen Hautfleck erschien eine fadendünne weiße Linie. Susy erwartete, daß die Tücher sich rot färben würden, und drückte ihre Schulter fester gegen Connie. Aber kein roter Fleck wurde sichtbar. Die Hände in den Handschuhen hatten Äderchen und Arterien rasch und geschickt mit Klammern abgeschnürt.
Dr. Barry begann zu erklären, was er machte. Wenn er schwieg und die Augen gespannt auf seine Arbeit gerichtet hielt, sprach Fräulein Lester leise zu den Mädchen und machte sie auf die Tätigkeit der Operationsschwestern aufmerksam.
»Nun nehme ich Karbolsäure zum Ätzen«, sagte Dr. Barry. Susy fühlte eine Bewegung an ihrer Schulter und wandte den Kopf. Connie schwankte auf ihrem Sitz. Ihre Augen waren geschlossen, die Lippen blau.
Susy umklammerte den Arm neben ihr mit eisernem Griff. Es war ein grausamer und schmerzhafter Griff, aber er brachte Connie zur Besinnung. Ihre krampfhaft geschlossenen Lippen öffneten sich ein wenig. Sie atmete schwer.
Als Dr. Barry zu dem Stand hinaufsah, las er ein verzweifeltes Flehen in Susys Augen. Sein Blick glitt zu Connie. Fräulein Lester beobachtete die Operation und hatte Connies Zustand gar nicht bemerkt. Dr. Barry zögerte einen Augenblick. Dann sagte er laut: »Ach, Schwester Halliday, Sie sitzen gerade dort neben dem Bord. Würden Sie mir bitte die Dose mit dem Katgut herbringen? Mit diesem Zeug hier kann man ja einen Dampfer vertäuen.« Die Operationsschwestern hoben erstaunt die Köpfe. Da sie aber an allerlei Grillen bei Chirurgen gewöhnt waren, wandten sie sich
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