Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
Babykleider in dem Koffer waren. Ihre Schwester hatte gestern ein paar Sachen für das Kind gekauft. Sie selbst hatte sich nicht darum gekümmert.
Herr Grant war sehr besorgt um seine Frau. Er hatte das beste Zimmer der Klinik für sie reservieren lassen. Schon am Morgen trafen Blumen von ihm ein. Sie sollte den Raum geschmückt vorfinden, wenn sie ankam. Sie umschlang ihn heftig, bevor sie zur Entbindung ging. Ihr Gesichtsausdruck war bitter. Er sah mürrisch aus. Nachdem das Kind zur Welt gekommen war, weigerte Frau Grant sich, es anzusehen. Sie drehte ihr Gesicht zur Wand und wartete darauf, in ihr Zimmer zurückgebracht zu werden. Als der Arzt ihr mitteilte, daß es ein Mädchen war, gab sie keine Antwort.
Susy wickelte das Baby in eine Decke und nahm es in den Arm. Das arme Wesen war unerwünscht, ja verhaßt. Welch ein Leben erwartete es? Würde es der Gnade von Dienstboten überlassen werden, im Hintergrund versteckt, wo es sich vor Sehnsucht nach ein wenig Liebe verzehrte? Was für ein falsches Englisch würde es sprechen lernen? Was für Dummheiten würden sein zartes kindliches Gemüt mit Schrecken erfüllen? Susy fand das Verhalten der Eltern unglaublich roh. Ob sie das Kind gewollt hatten oder nicht, es war nun einmal da. Sie hatten kein Recht, ihm Liebe und sorgfältige Pflege zu verweigern. So etwas müßte gesetzlich bestraft werden. Susys Gesicht rötete sich vor Zorn. Seltsamerweise war das kleine Mädchen auffallend schön. Es hatte blonde Locken und Veilchenaugen. Seine Haut war weiß und zart.
Susy betrachtete es zärtlich. »Ich wünschte, sie würden es mir geben«, dachte sie. »Wie würde ich es lieben!«
Herr Grant erwartete seine Frau in ihrem Zimmer. Sie streckte die Arme nach ihm aus. Er beugte sich zu ihr nieder und küßte sie.
»Oh, Jack!« rief sie klagend.
»Mein Liebes!« sagte er.
Das war alles. Er fragte mit keinem Wort nach dem Kind. Es interessierte ihn ebensowenig wie seine Frau. Sie gingen beide ineinander auf, in ihrem Zusammenleben. Das Kind betrachteten sie als Eindringling. Es hatte keinen Platz in ihrem Leben.
Während der ersten drei Tage blieb das Baby im Säuglingszimmer
und bekam nur warmes Wasser und Molke. Frau Grant fragte nicht ein einziges Mal nach ihm. Susy war empört. Wenn sie ein paar Minuten Zeit fand, ging sie zu den Säuglingen, um Baby Grant zu besuchen. Das kleine Mädchen war sehr artig und weinte selten. Oft lag es ganz still in seinem Körbchen, die großen Veilchenaugen weit geöffnet. Ahnte es, daß seine Eltern nichts von ihm wissen wollten? Nein, das war nicht gut möglich. Susy versuchte, sich diesen Gedanken auszureden, aber es gelang ihr nicht ganz.
Die Säuglingsschwester teilte Susys Gefühle. »Man müßte den Mann verprügeln«, sagte sie am zweiten Tag. »Vorhin begegnete ich ihm im Korridor und fragte ihn, ob er sein Kind nicht sehen wolle. Er sagte böse >nein!<, ging aus dem Haus und warf die Türe hinter sich zu.«
Susy beugte sich über das Körbchen und betrachtete das kleine Wesen. Es war wach und lag wie gewöhnlich still und ruhig da. Die kleinen Händchen öffneten und schlossen sich.
Konnte man irgend etwas tun, um den Sinn der Grants zu ändern? Es würde sich lohnen, jede Mühe würde sich lohnen. Susy grübelte darüber nach und besprach sich mit der Säuglingsschwester. Gemeinsam holten sie den Koffer des Babys hervor und beschauten die Kleider, die Frau Grants Schwester ausgesucht hatte. Sie waren sehr schön und geschmackvoll, mit der Hand gearbeitet und stammten aus Paris. Wahrscheinlich waren sie sehr teuer gewesen.
»Ich habe eine Idee«, sagte Susy plötzlich. »Morgen werde ich Baby Grant zu seiner Rabenmutter bringen. Ziehen Sie es so hübsch wie möglich an.«
»Ja, wenn Sie wollen? Aber es wird gewiß nichts nützen.«
»Das mag sein. Trotzdem, ich will es versuchen.«
Am nächsten Tag um zwei Uhr war Baby Grant bereit. Es sah fast unwirklich schön aus. Blonde Locken umrahmten das Engelsköpfchen. Die langen dunklen Wimpern warfen einen bläulichen Schatten auf die runden rosa Bäckchen.
Susy zupfte das duftige gefältelte Kleidchen zurecht und hob das Baby aus seinem Korb. »Auf in den Kampf, mein Süßes! Jetzt heißt es siegen oder fallen.«
Herr Grant befand sich im Zimmer seiner Frau. Susy hatte sich vorsorglich davon überzeugt, bevor sie das Baby holte. Aber nun, da der entscheidende Augenblick gekommen war, wünschte sie plötzlich, weit fort zu sein. Es war keine Kleinigkeit, den beiden
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