Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
Daher nahm sich Susy der beiden Frühgeburten an. Auch übernahm sie die Pflege eines Babys mit verkrümmtem Rücken, das sehr sorgsam behandelt werden mußte. Sie machte die Arbeit gern.
Es war ein anderes Baby mit dem Namen Williams, das eine heftige Auseinandersetzung zwischen Susy und Franziska verursachte. Infolge dieser Auseinandersetzung geriet Susys Gemüt in einen unerwarteten Aufruhr.
Baby Williams hatte einen ungeheuren Appetit. Es schien überhaupt niemals satt zu werden. Der hübsche, pausbäckige kleine Junge mit dem dichten Haarschopf auf dem Hinterkopf schrie unaufhörlich. Seine Stimme war so durchdringend wie eine Sirene.
Kleine Kinder brauchen viel Schlaf und werden leicht durch Geräusche gestört. Aber Baby Williams kümmerte sich nicht darum, sondern schrie, denn er wollte trinken, immerfort trinken. Seine Stubengenossen, die der Lärm nicht schlafen ließ, protestierten mit Gebrüll.
Nachdem das zwei Tage lang so gegangen war, kam eine Inspektorin ins Zimmer. »Was ist hier eigentlich los? Das ist ja ein fürchterlicher Lärm!«
Die Mädchen erklärten ihr die Ursache des Aufruhrs. Sie waren gekränkt, als die Inspektorin die Vermutung aussprach, Baby Williams könnte naß sein oder Blähungen haben.
Franziska antwortete steif, daß Baby Williams nichts fehlte. Es wolle nur immerzu trinken.
Die Inspektorin blickte auf die viereckige Öffnung in dem roten Gesicht des Babys, aus der ohrenbetäubendes Geschrei drang.
»Geben Sie ihm fünfzig Gramm Molke«, ordnete sie an und verließ das Zimmer.
Baby Williams schlang die Molke hinunter und schrie. Nach kurzem Zögern gab Susy ihm noch etwas. Es war im Nu verschwunden.
»Dieser Säufer!« sagte Franziska ärgerlich.
»Was sollen wir nur mit ihm machen? Ich kann ihm unmöglich noch mehr geben. Er ist ja schon bis oben voll.«
Franziska lehnte sich über den Korb und sah Baby Williams böse an. Er schrie mit unverminderter Lautstärke.
Bevor Susy sie daran hindern konnte, hob Franziska das kleine Wesen hoch, legte es mit dem Gesicht nach unten über ihren Arm und gab ihm einen heftigen Klaps auf sein kleines Hinterteil.
Baby Williams schnappte erschrocken nach Luft und hörte zu schreien auf.
Grimmig legte Franziska es in den Korb zurück. Es war verdutzt, schrie aber nicht mehr.
»So! Jetzt wird der Nichtsnutz wohl endlich still sein!« sagte
Franziska zufrieden.
Heftiger Zorn schnürte Susy die Kehle zu. Sie war unfähig, ein Wort hervorzubringen. Der Schlag an sich hatte nichts zu bedeuten. Neugeborene bekamen manchmal viel heftigere Schläge vom Arzt. Und um der anderen Kinder willen war es notwendig gewesen, etwas zu unternehmen. Außerdem hatte der Klaps gewirkt. Es war der rohe Gesichtsausdruck Franziskas, der Susy aus der Fassung brachte.
»Wie niederträchtig von Ihnen!« stieß sie schließlich hervor.
Franziska hob die Schultern. »Warum?«
»Weil Sie es nur taten, um sein Schreien nicht mehr mit anhören zu müssen«, antwortete Susy hitzig. »Wenn Sie eine wahre Krankenschwester wären, hätten Sie es zuerst auf andere Weise versucht.«
»Warum haben Sie es denn nicht auf andere Weise versucht?«
»Sie ließen mir keine Zeit dazu.«
»So gehen Sie doch hin und verpetzen mich!«
»Ich habe nicht die geringste Absicht, Sie zu verpetzen, das wissen Sie sehr gut. Aber eins muß ich Ihnen einmal in aller Deutlichkeit sagen: Ich finde Ihre kalte Art weder witzig noch klug. Und ich habe bemerkt, daß Sie immer nur jemand angreifen, der sich nicht wehren kann.«
Franziska lachte und behielt ihre gelassene Haltung, aber ihre Augen funkelten ebenso wütend wie die von Susy.
Danach wurde der Vorfall von den beiden nicht mehr erwähnt. Baby Williams schien für immer geheilt zu sein und schrie nicht mehr als die anderen Babys. Susy und Franziska begegneten sich mit der gleichen Liebenswürdigkeit wie immer. Ihre Zusammenarbeit war ebensogut wie vorher. Aber es stand ein unsichtbarer Schatten zwischen ihnen, und Susy hatte das unbestimmte Gefühl, auf der Hut sein zu müssen, obwohl sie nicht wußte wovor.
Als Susy etwa eine Woche nach dem peinlichen Vorfall mit Baby Williams eines Abends in ihr Zimmer trat, fand sie Connie in einem Zustand fieberhafter Erregung vor. Die Haube saß ihr auf einem Ohr. Ihr Gesicht glühte, die Augen glänzten, ihre dünnen nervösen Hände flatterten.
»Susy, Susy! Ich bin verlobt!«
»Ach, Connie, wie wundervoll! Ich gratuliere.« Susy ergriff die flatternden Hände und küßte Connie
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