Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
Kutsche mit vier Pferden oder ein paar Rubine, die von einem Heiligenbild der Hindus gestohlen wurden. Ich bitte dich nur um eins: Hab mich lieb!«
»Ach, du dummer Kerl!«
Es dauerte noch eine Weile, bis sich die Haustür endlich hinter Phil geschlossen hatte und Connies federleichte Schritte auf der Treppe zu hören waren.
Susy blieb reglos auf ihrem Platz sitzen. All das hätte sie auch haben können.
Es war jetzt ganz dunkel im Zimmer. Draußen hoben sich die Fichten wie schwarze Pfeile vom Abendhimmel ab. Kleine Frühlingssterne blitzten zwischen ihren Zweigen auf. Ein Windstoß rüttelte an den Fenstern, und in der Ferne schrie eine Eule.
Susy erhob sich langsam und steif. Sie mußte sich anziehen; sie mußte etwas essen; sie mußte bald zum Dienst.
Die letzten Monate
Susy freute sich, wieder in das alte Krankenhaus zurückzukommen. Verwundert stellte sie fest, daß man zur gleichen Zeit froh und unglücklich sein kann. Das Krankenhaus war ihr Heim. Sie hatte es geliebt, solange sie dort war, und liebte es noch immer. Die vertraute Umgebung beruhigte sie ein wenig.
In ihren dienstfreien Stunden war Susy jetzt oft allein. An demselben Tag, an dem sie und Connie zurückkehrten, siedelte Kit in die Johannes-Klinik über. Connie war in jeder freien Minute mit Phil zusammen. Und mit den anderen Schwestern hatte Susy niemals auf besonders vertrautem Fuß gestanden.
Connie machte sich Sorgen, weil Susy immer dünner wurde. Sie brachte ihr Obst, Schokolade und andere Leckereien aus der Stadt mit. Susy aß alles, blieb aber nach wie vor mager. Connie war zu feinfühlend, um sich in Susys Vertrauen drängen zu wollen, und quälte sie nicht mit Fragen. Sie und Phil forderten Susy oft auf, mit ihnen zusammen auszugehen. Hin und wieder ging Susy mit. Die Fürsorge der beiden rührte sie, und sie wollte nicht undankbar erscheinen.
Eines Tages begegnete sie Fräulein Cameron auf dem Korridor. Sie sah Susy scharf an. Dann stieß sie hervor: »Sie sind ja nur noch Haut und Knochen! Was ist mit Ihnen los?«
»Nichts, Fräulein Cameron.«
»Unsinn! Sie haben eine miserable Farbe. Ich werde mit Fräulein Mason darüber sprechen.«
Sie sprach mit Fräulein Mason. Susy mußte sich im Ambulatorium untersuchen lassen. Es stellte sich heraus, daß ihr gar nichts fehlte. Die Verschreibung einer schlechtschmeckenden Medizin vergrößerte ihr Elend nur noch.
Man schickte sie in den Privatpavillon, in dem eine Abteilung des Krankenhauses für reiche Leute untergebracht war. Hier lernte Susy die Menschen von einer anderen Seite kennen. Die Reichen hatten gewöhnlich mehr Angst vor Krankheiten als die Armen, waren jedoch fast immer besser gelaunt.
Sie klagten viel, aber dann konnten sie auch wieder die schwersten Krisen so witzig beschreiben, daß die Zuhörer sich vor Lachen bogen.
Der Dienst im Privatpavillon dauerte meistens drei Monate. Susy, die sich in jeder Abteilung des Krankenhauses wohl fühlte, hatte sich auch dort bald eingelebt.
Der April kam mit schwellenden Knospen. Der Himmel schimmerte wie Seide, die Efeuranken streckten winzige Blätter ins Freie, und plötzliche Regengüsse peitschten gegen die Fenster. Susy mußte Unterrichtsstunden nachholen, die sie während ihres Aufenthaltes in der Johannes-Klinik versäumt hatte, und arbeitete fleißig. Ihr blieb nicht viel Zeit zum Grübeln übrig. Eines Tages bemerkte sie zu ihrer Überraschung, daß der peinigende Schmerz in ihrer Brust sich in eine erträgliche Traurigkeit verwandelt hatte.
>Wahrscheinlich kann der Mensch einen solchen Schmerz auf die Dauer nicht ertragen<, dachte sie bei sich.
Am ersten Mai begann Connie mit ihrem Narkosekursus. Susy wurde nachdenklich, als sie davon erfuhr. Wozu eigentlich die ganze schöne Ausbildung, wenn Connie schließlich doch heiratete? Allerdings wußte man nie, ob man diese Kenntnisse noch einmal gebrauchen konnte, selbst wenn man verheiratet war.
Mitte des Monats kam ein kurzer Brief von Bill. Er hatte seine Stellung im Krankenhaus endgültig aufgegeben. Es gab viel zu tun in Springdale. Die Arbeit machte ihm Freude.
Susy fragte sich, was er wohl an Elenor Gerard schrieb. Aber eigentlich hatte das jetzt nichts mehr zu sagen. Sie beantwortete seinen Brief. Erst im Juni schrieb er wieder. Sie wünschte fast, er würde sie in Ruhe lassen. Es würde ihr dann leichter werden, ihn zu vergessen, meinte sie.
Sie erfuhr aus seinem Brief, daß er viel operierte, aber über die näheren Umstände teilte er nichts mit. Er
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