Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
schrieb, daß der Juni in New Hampshire recht kalt wäre; es gäbe sogar noch Nachtfröste. Er vermißte das Krankenhaus. Er fragte, ob sie nicht in der Nähe von Springdale zu Hause wäre. Er hoffte, daß es ihr gut ginge.
Nach zwei Wochen antwortete Susy zurückhaltend mit ein paar kurzen freundlichen Zeilen.
Darauf schrieb er überhaupt nicht mehr, aber Mitte Juli bekam sie einen Brief von ihrer Mutter, der sie sehr überraschte.
>... Vorigen Sonntag besuchte uns ein netter junger Mann, ein Dr. Barry. Er kennt dich aus dem Krankenhaus. Pa mochte ihn gleich sehr gern, was selten bei ihm vorkommt. Die beiden stöberten zusammen im Garten umher und unterhielten sich ausgezeichnet. Pa beschrieb ihm ausführlich, wie er seine Birnbäume veredelt. Hoffentlich hat er ihn nicht zu sehr damit gelangweilt. Ted geht es gut. Er
läßt dich grüßen .<
Es war nett von Bill, ihre Familie aufzusuchen. Aber warum tat er das? So weit brauchte er die Höflichkeit nicht zu treiben.
Als Kit aus der Johannes-Klinik zurückkehrte, blieb Susy nicht mehr so einsam. Wie in den vergangenen Jahren fuhren sie an heißen Tagen Kanu. Manchmal kam Connie mit und ein paarmal auch Phil.
Kit versuchte ebensowenig wie Connie, sich in Susys Vertrauen zu drängen. Es war eigentlich merkwürdig, daß Kit sich nicht auch in jemand verliebte. Susy vermutete, daß sie an einem Mann in ihrer Heimat interessiert sei, wußte es aber nicht genau. Die Ärzte hatten Kit gern, und wenn sie nicht mit ihnen ausging, so lag es nicht an mangelnden Einladungen.
Einmal äußerte sich Kit über diesen Punkt. »Die guten, lieben Männer!« sagte sie spöttisch. >Komm und unterhalte uns<, flöten sie. >Wenn du etwa nachher deswegen Ärger haben solltest, tut uns das ja so furchtbar leid!<«
Susy lachte. Sie war nun beinahe wieder die alte. >Vielleicht gelingt es mir, darüber hinwegzukommen, dachte sie.
Am ersten August wurde Susy Stationsschwester. Sie hatte gar nicht mehr daran gedacht, daß Fräulein Waring ihr vor kurzem eine solche Laufbahn vorgeschlagen hatte. Nun gab ihr die Schulleitung unvermittelt diese Möglichkeit.
»Sie werden mit der Leitung von Station 29 betraut«, sagte Fräulein Mason, während sie das schmale schwarze Samtband an Susys Haube befestigte. »Wir glauben, daß Sie die Fähigkeiten zur Stationsschwester haben und sich auf Ihrem Platz bewähren werden.«
Susy, die geglaubt hatte, sich nie wieder über etwas freuen zu können, verließ das Büro wie auf Wolken schwebend. Station 29 war mit genesenden Männern belegt und nicht schwierig; aber es war eine Station, und sie sollte sie leiten! Als sie die schmale Treppe hinter der Röntgenabteilung hinaufeilte, sah sie Hilda Grayson herunterkommen. Sie versuchte, gleichgültig zu erscheinen, aber es gelang ihr nicht recht. Hilda blieb mit einem Ruck stehen. »Barden!« schrie sie und schlug sich mit der Hand auf den Mund. »Susy! Sie sind Stationsschwester? Wann ist das passiert? Welche Station bekommen Sie?«
»Station 29«, antwortete Susy, so ruhig sie konnte. »Soeben hat Fräulein Mason es mir gesagt. Ich bin auf dem Weg zur Station, um sie zu übernehmen.«
»Wie wundervoll! Ich gratuliere!« Dann grinste Hilda. »Was
wird Willi dazu sagen? Wie hübsch das schwarze Band aussieht! Hätte ich doch auch eins!«
»Sie werden es ebenfalls bald bekommen.« Susy gab sich große Mühe, ihre triumphierende Freude zu verbergen. Aber es war doch zu herrlich! Und das schmale schwarze Band war die Vorstufe zu dem breiten schwarzen Band der Krankenschwester mit Diplom. Der Dienst als Stationsschwester würde wahrscheinlich ihr letzter im Krankenhaus sein. Lernschwestern blieben gewöhnlich drei bis vier Monate auf diesem Posten. Nach anderthalb Monaten bekam Susy ihr Diplom. Die beiden Monate, die sie nachzuholen hatte, würde sie sicherlich als Leiterin von Station 29 ableisten.
Es war jedoch noch ein anderer Gedanke, der Susy bewegte. Wie alle Lernschwestern hatte sie oft gedacht, daß sie eine Station viel besser leiten könne als die Stationsschwestern, bei denen sie gearbeitet hatte. Sie würde die Mädchen bestimmt nicht dauernd unterbrechen, wenn sie einmal eine Arbeit angefangen hatten. Sie würde nicht müßig an ihrem Pult sitzen, während sie sich abrackerten, sondern mit ihnen zusammen arbeiten. Sie sollten den Urlaub bekommen, den sie haben wollten, und wenn sie im Dienst einmal miteinander plauderten, würde sie nicht gleich tadelnd dazwischenfahren, sondern Verständnis
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