Susanne Barden - 03 in New York
Kit.
»Meinst du die Dinger, die an den Knöcheln hängen?« fragte Susy. »Du kannst von Glück sagen, daß du sie überhaupt noch fühlst. Ich fühle nur noch ein Paar Knie in Gelee.«
»Morgen wird es noch schlimmer sein«, unkte Kit. »Dann werden wir kaum noch kriechen können. Wenn ich an all die Treppen denke, werde ich schwach.«
Vor ihrem Haus begegneten sie dem Hausverwalter. »Abend!« grüßte er freundlich und fügte dann ängstlich hinzu: »Alles in Ordnung bei Ihnen?«
»Natürlich!« log Susy, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Wir sind ganz vernarrt in das Haus.« Das letztere stimmt jedenfalls, dachte sie bei sich.
Der Mann atmete sichtlich auf. »Das freut mich. Es wäre mir immerhin peinlich, wenn man Sie im Bett abmurkste.«
Kit schloß die Haustür auf. »Nun haben wir doch wieder etwas,
worauf wir uns freuen können. Glaubst du, daß heute nacht was passiert?«
»Das sage ich dir morgen früh.«
»Na ja, wenn — Ach, sieh mal, das Telefon ist da! Wir müssen Elena anrufen. Ich hab ihr versprochen, mich zu melden, sobald wir Anschluß haben.«
Kit wählte eine Nummer, und bald tönte eine laute Stimme aus dem Hörer. »Das ist Elena«, flüsterte Kit überflüssigerweise, denn Susy stand dicht hinter ihr und konnte jedes Wort deutlich verstehen.
»Wie geht es euch?« sprudelte Elena hervor. »Ich hab mir ja solche Sorgen um euch gemacht! Nicht daß ich an Gespenster glaubte, aber es ist doch unangenehm, wenn sie um einen herumwimmeln. Und der Gedanke, daß ihr im Bett ermordet werden könntet, war mir einfach gräßlich.« Ihr Redestrom war nicht aufzuhalten, und Kit konnte nur hin und wieder ein Lachen einschalten.
»Das ist der zweite Mord heute abend«, bemerkte Susy, als Kit endlich abhing.
»Na, wir sind ja auch zwei Menschen. Deshalb brauchst du nicht gleich den Kopf hängen zu lassen. Übrigens - Elena hat uns für morgen abend zum Essen eingeladen.«
»Lebend oder tot?«
»Das hat sie nicht gesagt. Wahrscheinlich ist es ihr gleich.«
»Wenn ich nicht lebend hingehen kann, möchte ich lieber zu Hause bleiben.«
»Wie du willst.«
Lachend gingen sie nach oben und zogen sich um. Ihre Beine wurden immer steifer und schmerzten bei jeder Bewegung. Eine Weile beschäftigten sie sich noch mit ihren Schwesterntaschen und übten so lange, den Inhalt vorschriftsmäßig ein- und auszupacken, bis ihnen der Kopf schwirrte und sie alles durcheinander brachten.
»Das kann ich jetzt im Schlaf«, sagte Kit endlich.
»Du tust es schon im Schlaf, Kit. Und ich bin bald soweit, daß ich die Seife mit Alkohol abreibe und das Thermometer im Seifenbehälter verwahre. Wir wollen ins Bett gehen.«
Kit gähnte. »Einverstanden! Hoffentlich kommt das Gespenst heute nicht! Ich bin nicht in Stimmung für eine Unterhaltung mit Gespenstern.«
Bald war alles still und friedlich in dem kleinen Haus, und zum Glück für die beiden erschöpften Mädchen blieb es auch still und friedlich, so daß sie ungestört bis zum Morgen schliefen.
Als sie erwachten, war der Himmel grau und verhangen. Die Luft war rauh, und es roch nach Schnee. Susy fühlte sich genauso lahm, wie sie erwartet hatte. Kit machte einen bedrückten Eindruck.
Nur zögernd verließ Susy an diesem Tag das Büro. Der Bezirk um Henry Street erschien ihr heute düster und trübselig. Sie hatte das Gefühl, von allem verlassen zu sein, was sicher und vertraut war.
Ihr erster Patient war ein Kind, das soeben nach einer Operation aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Sie sollte ihm den Verband erneuern und darauf achten, daß es gut versorgt würde. Das war alles. Seufzend humpelte sie durch die Straßen und wünschte fast, sie hätte sich Büroarbeiten geben lassen. Ob es noch weit bis zu dem Haus war? Sie blieb stehen, zog ihre Besuchsliste hervor und sah nach der Hausnummer.
In den Straßen der Ostseite von New York spielen immer eine Menge Kinder. Susy beachtete es daher zunächst nicht, als sie eiliges Getrappel hinter sich hörte, bis eine tränenerstickte Kinderstimme flehentlich rief: »Schwester! Hilfe bitte, bitte!«
Susy wandte sich rasch um. Vor ihr stand ein kleiner Junge mit einem jungen Hund auf dem Arm.
»Was ist denn, Kleiner?«
»Mein Hund! Bitte hilf ihm!«
»Du meine Güte!« Erst jetzt bemerkte Susy, daß der Kopf des Hundes wie leblos herabhing. Sie riß das Tierchen an sich und zerrte an dem Bindfaden, der ihm den Hals zuschnürte, konnte ihn jedoch nicht lösen.
Der Junge schluchzte. »Ich - ich wollte ihm
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