Susanne Barden - 03 in New York
Menschen, die weder Geld besaßen noch irgendwelche Mittel zu erwarten hatten, antworteten freudig wie aus einem Mund: »O ja!« Und der junge Mann fügte stolz hinzu: »Über ein Kind freut sich bestimmt jeder Mensch. Es ist doch etwas, wofür man arbeiten kann.«
>Aber erst einmal Arbeit haben, du armer Kerl<, dachte Susy. Laut sagte sie: »Wünschen Sie sich einen Jungen oder ein Mädchen?«
»Das ist mir gleich«, antwortete er einfach.
Sehr still ging Susy später die wacklige Treppe wieder hinunter. Auf der Straße sagte Fräulein Kirmer energisch: »Ich muß ihm sofort Arbeit verschaffen.« Nachdem Susy sie einen Nachmittag lang beobachtet hatte, zweifelte sie nicht daran, daß der junge Mann noch in derselben Woche Arbeit haben würde.
Dies war der letzte Besuch des Tages. Fräulein Kirmer hatte ihn »als Extrabissen eingeschoben«, wie sie mit einem lustigen Augenzwinkern bemerkte.
Die anderen Besuche waren zu dem Zweck ausgewählt worden, Susy mit ihrer Arbeit bekanntzumachen. Es waren ein neuer Fall, eine gewöhnliche Pflege und eine Wundbehandlung - eine nüchterne Liste, die nichts von den damit verknüpften menschlichen Beziehungen ahnen ließ, wie Susy später bei sich feststellte. Die erste Patientin war ein Mädchen in Susys Alter mit einem schweren Herzleiden. Das Lager der Kranken bestand aus einer dünnen Matratze, die auf dem Fußboden einer fensterlosen Kammer lag. Susy beobachtete bewundernd, wie geschickt Fräulein Kirmer mit der Familie umging. Über das bleiche Gesicht der Kranken verbreitete sich leise Röte, als die Schwester mit großer Selbstverständlichkeit ankündigte, daß morgen »ein vernünftiges Krankenbett« herübergeschickt werden würde.
Der nächste Patient war ein schwieriger alter Mann mit einem verfilzten langen Bart. Fräulein Kirmer ging täglich zu ihm, um ihn zu waschen und sein Bett zu machen. Heute brachte sie ihm einen schönen neuen Kamm mit, und er war darüber fast zu Tränen gerührt.
Der dritte Besuch galt einer abgearbeiteten kleinen Frau mit fünf Kindern, die sich das Bein verbrannt hatte. Das Verbinden nahm nicht viel Zeit in Anspruch, aber es dauerte fast eine Stunde, bis die Kleinen gewaschen waren und das Zimmer ein wohnliches Aussehen bekommen hatte. Susy half gern dabei und war froh, etwas tun zu können. Sie fühlte sich ein wenig bedrückt und gleichzeitig freudig erregt. Die Arbeit einer Henry-Street-Schwester war doch viel umfangreicher, als sie geglaubt hatte; das erkannte sie jetzt.
Auf dem Rückweg zum Büro erzählte Fräulein Kirmer von privaten Wohlfahrtseinrichtungen, Babyhorten, Versicherungsgesellschaften und Gesundheitsämtern, die Hand in Hand mit der Henry-StreetStiftung arbeiteten. Susy hörte mit leuchtenden Augen zu, war sie doch jetzt selber ein Teil dieses weitverzweigten Netzes der Hilfsbereitschaft, das sich über die Weltstadt ausbreitete.
Als sie später mit Kit in der Untergrundbahn heimfuhr, fiel ihr wieder ein, daß der Hausverwalter gesagt hatte, er wolle Schwestern von Henry Street nicht betrügen. Nach allem, was sie an diesem Nachmittag erlebt hatte, verstand sie seine Bemerkung nun erst richtig.
Junge Hunde und Fische
In dieser Nacht blieb alles friedlich in dem kleinen Haus. Die Mädchen erwarteten wieder Schreie und unsichtbare Schritte auf der Treppe, aber es geschah nichts.
Am nächsten Tag begleitete Susy Fräulein Kirmer wieder auf ihrer Runde und lernte sehr viel dabei. Sie malte sich schon immer im voraus aus, was sie in jedem einzelnen Fall unternehmen würde, und beobachtete dann aufmerksam, wie Fräulein Kirmer damit fertig wurde. Sie wußte wohl, daß ihre ersten Besuche, die sie allein machen mußte, sorgfältig ausgewählt waren, daß sie wahrscheinlich auf keine besonderen Schwierigkeiten stoßen würde, und daß sie jederzeit Fräulein Russell anrufen und um Rat bitten konnte. Trotzdem war sie ängstlich und nervös.
Bald fühlte sie sich auch körperlich erschöpft. Sie war nicht daran gewöhnt, stundenlang über Großstadtpflaster zu gehen und unaufhörlich treppauf, treppab zu steigen. Lange vor fünf begannen ihr die Knie zu zittern.
Kit war ebenfalls todmüde. Wortkarg schleppten sich die Freundinnen von der Untergrundbahnstation zu dem kleinen Restaurant an der Ecke. Während sie schweigend aßen, freuten sie sich, daß sie wenigstens kein Geschirr mehr abzuwaschen brauchten. Mit schmerzenden Gliedern trotteten sie schließlich heimwärts.
»Oh, meine armen Füße!« stöhnte
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