Susanne Barden - 03 in New York
nicht wehtun. Der Bindfaden zog sich fest.«
»Warte!« Den jungen Hund unter einen Arm geklemmt, riß Susy ihre Tasche auf, zog eine Schere heraus und schnitt den grausamen Strang durch. Das Hündchen röchelte schwach, fuhr sich mit der blau angelaufenen Zunge über die schwarze Nase und begann sich zu winden.
»Er wird sich bald erholen«, versicherte Susy tröstend. »Hast du denn kein Halsband für ihn?«
»Nein.«
»Komm mal mit.« Susy nahm den erstaunten Jungen an die Hand und ging mit ihm zum nächsten Trödelladen. Eine immer mehr anwachsende Kinderschar folgte ihnen neugierig und sah gespannt zu, wie Susy ein Halsband und eine Leine kaufte.
»Nun kannst du ihn an der Leine führen«, sagte sie zu dem völlig verdatterten Jungen. »Trag ihn aber lieber noch ein Weilchen auf dem Arm, bis er sich erholt hat. Und gib ihm etwas Wasser zu trinken, wenn du nach Hause kommst.«
»Ja, Schwester.«
Susy eilte davon und suchte weiter nach ihrer Hausnummer. Plötzlich hatte die Straße ihr mürrisches Aussehen verloren. Sie erschien Susy jetzt freundlich, ja fast fröhlich. >Ich glaube, Büroarbeit wäre doch nicht das Richtige für mich<, dachte sie.
Endlich stand sie vor dem Haus, das sie suchte. Mit schmerzenden Knien kletterte sie keuchend fünf Treppen hinauf. Oben fand sie eine warme, saubere Wohnung vor, die mit hübschen Möbeln ausgestattet war. Sie wurde besser mit ihrer Tasche fertig, als sie zu hoffen gewagt hatte, und ihr kleiner Patient ließ sich geduldig verbinden. Als Susy fertig war, bot ihr die Mutter des Mädchens, eine kräftige lebhafte Irländerin, Kaffee und Pfannkuchen an.
»Trinken Sie mal was Warmes, Schwester. Ist heute bitter kalt draußen.«
Susy nahm die herzliche Einladung dankbar an. Sie fühlte sich jetzt ruhig und sicher. Die Arbeit einer Fürsorgeschwester schien ja gar nicht so schwierig zu sein! Und niemand hatte bemerkt, daß sie eine blutige Anfängerin war. Sie war gerade in eine Unterhaltung mit der netten Frau vertieft, als die Küchentür aufflog und der Mann hereingestürmt kam. »Wo ist sie?« rief er fröhlich.
Susy wußte bereits, daß der Mann Fischhändler war, aber sie war nicht darauf gefaßt, daß er ihr ein Paket mit Fischen in den Schoß werfen würde. Die Schwestern der Henry-Street-Stiftung nahmen keine Geschenke an. Was sollte sie tun? Sie durfte den Mann nicht vor den Kopf stoßen. Während sie ein wenig unschlüssig auf die unerwartete Gabe blickte, fiel ihr eine Stelle aus Fräulein Firrells Einführungsrede ein. »Wenn Sie ein Geschenk nicht zurückweisen können, ohne jemand zu verletzen, nehmen Sie es für den Schwesterndienst an.« Gut und schön! Aber was sollte der Schwesterndienst wohl mit zehn Pfund Dorsch machen? Sie sah sich schon im Geiste Fische an die Schwestern verteilen und hätte bei dem Gedanken fast laut aufgelacht. Als sie jedoch sah, daß sich das breite Gesicht des Iren zu röten begann, nahm sie sich zusammen und sagte schnell: »Vielen Dank, Herr Flannigan! Die Henry-Street-Schwestern nehmen keine Geschenke an, aber ich nehme die Fische gern für den Schwesterndienst mit.«
Herr Flannigan strahlte. »Freut mich, freut mich! Ihr seid feine Mädels.«
Als Susy die Wohnung verließ, trug sie über einem Arm ihre Tasche und hielt unter dem anderen das glitschige Fischpaket geklemmt. Was sollte sie nur mit den Fischen anfangen? Und was würden die andern Patienten von einer Krankenschwester denken, die nach Fisch stinkend in ihre Wohnung kam? Aber es war nichts zu machen; sie mußte das Paket vorläufig mitschleppen.
Ihr nächste Patientin war eine unglaublich dicke Frau mit tiefer Stimme, die soeben von einer Influenza genesen war. Vier kleine Pekinesen sprangen, von dem Fischgeruch angelockt, an Susy hoch, bevor sie noch durch die Wohnungstür getreten war. Die wenigen Möbelstücke, die in der Wohnung standen, sahen gediegen aus, und Susy dachte sich, daß die Leute einmal bessere Tage gesehen haben müßten. Der Mann hatte früher ein gutgehendes Restaurant besessen, erfuhr sie nun von seiner Frau. Jetzt suchte er eine Anstellung in einer Bar. »Und wir haben so viele Schulden«, klagte sie. »Oft weiß ich nicht, was wir essen sollen.«
Susy, die gerade das Bett bezog, hielt in ihrer Arbeit inne.
»Essen Sie gern Fisch?«
»Ja. Warum?«
»Ich hab’ ein großes Paket mit Dorschen bei mir. Es liegt auf dem Küchenschrank, damit die Hunde nicht herangehen. Sie können so viel davon bekommen, wie Sie wollen. Ja, am
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