Susanne Barden 04 - Weite Wege
ärztlichen Berater des Ausschusses ernannt. Er konnte nicht bis zum Schluß bleiben, erlebte es aber noch, wie Susy ihre Ansprache begann, und brachte sie beinahe aus der Fassung, als er sich an der Tür umdrehte und ihr eine Grimasse schnitt.
Auf dem Heimweg traf sie Ira Prouty. »Was macht Ihre Hand?« fragte sie.
»Es ist alles in Ordnung«, antwortete er. »Sie werden nun also unsere Gemeindeschwester?«
»Woher wissen Sie das?«
»Das weiß doch schon das ganze Dorf. Martha Edgett hat auf der Post einen Zettel anschlagen lassen, auf dem man es lesen kann. Und Lot Phinney ist ganz aus dem Häuschen und erzählt es allen Leuten. Ich hab Lot noch nie so begeistert gesehen. Er sagte sogar, es wäre keine schlechte Sache.«
»Er ist süß.«
Ira lachte. »Das würde in Springdale wohl kaum einer von ihm behaupten.« Er wurde ernst und schien noch etwas sagen zu wollen, besann sich jedoch und meinte nur schon halb im Gehen: »Wenn ich Ihnen mal behilflich sein kann, will ich’s gern tun.«
Susy wunderte sich ein wenig über sein freundliches Angebot, vergaß die Sache aber bald wieder. Morgen sollte sie Bill auf seiner Besuchsrunde begleiten. Später konnte sie das nicht mehr tun, denn dann hatte sie ihre eigene Arbeit. Aber Frau Edgett hatte gemeint, Susy sollte sich schon immer mit den Verhältnissen bekannt machen. Der Gedanke, wieder arbeiten zu können - und noch dazu mit Bill zusammen - ließ Susy alles andere vergessen.
Bevor sie an diesem Abend ins Bett ging, schrieb sie an ihre Mutter und berichtete die erfreulichen Neuigkeiten. Auch an Kit und Marianna ging ein Brief ab, der mit dem Vorschlag endete, ob Marianna nicht nach Springdale kommen wolle. In diesem Punkt mußte Susy sehr taktvoll vorgehen, denn Marianna hatte einen eigenwilligen Stolz. In New York verdiente sie selber Geld, während sie in Springdale nichts verdienen würde. Das würde ihr sicherlich nicht behagen. Susy mußte ihr also einreden, daß sie sie brauchte. Sie klagte in ihrem Brief über Einsamkeit und meinte, es wäre ja recht viel verlangt, aber sie bäte sie, nach Springdale zu kommen - natürlich nur, wenn sie selber es wolle.
»Nun ist alles erledigt«, dachte Susy befriedigt, als sie endlich ins Bett sank. »Ich möchte nur wissen, was Ira Prouty mir sagen wollte und dann doch nicht sagte.«
Tee
Am nächsten Morgen um neun Uhr fuhr Bill mit seinem blitzblank geputzten Wagen vor Annes Häuschen vor. Ein langgezogenes Hupen rief Susy heraus. Ihr blaues gestärktes Kleid raschelte unter dem Tuchmantel, der einstweilen genügen mußte, bis sie sich zum Schutz gegen die rauhen Bergwinde einen Waschbärmantel angeschafft hatte. Die Henry-Street-Tasche hing schwer an ihrem Arm.
Bill sprang aus dem Wagen und riß die Tür auf. Sein Gesicht glühte vor Stolz und Freude. Er sah nicht Annes Kopf am Küchenfenster; er hatte nur Augen für die roten Locken unter dem schwarzen Filzhut und Susys junges fröhliches Gesicht.
»Taxe gefällig, meine Dame?« fragte er und machte eine tiefe Verbeugung. »Mein Wagen bringt Sie überallhin. Er ist sanft wie ein Maulesel, besitzt ein römisches Bad, eine vernickelte Hausbar und eine ausgezeichnete Apotheke.«
Susy blieb stehen und schlug die Hände in den Fausthandschuhen zusammen. Ihr Gesichtsausdruck war unglaublich töricht. »Eine Apotheke«, rief sie entzückt. »Wie romantisch! Eine süße, kleine, mit Rosen und wildem Wein umrankte Apotheke! O Doktor!« Sie sprach genau wie eine alberne überschwengliche Patientin.
»Madam!« antwortete Bill todernst. »Mein Herz ist im Hochland und ...«
»Und deine Füße stecken in einer Schneewehe. Du wirst dir einen Schnupfen holen.«
»Diese Frau hat keine Seele! Nun, steigen Sie ein, Fräulein Barden! Ich will versuchen, mit Ihnen auszukommen.«
Lachend fuhren sie davon, um zum erstenmal in Springdale zusammen zu arbeiten. Susy hatte sich diesen Tag eigentlich etwas anders vorgestellt, als er sich abwickelte. Bill war ja im Umkreis von fünfundzwanzig Meilen der einzige Arzt. Sie hatte erwartet, daß er mit Arbeit überhäuft sein werde, aber das war offenbar durchaus nicht der Fall.
Zuerst fuhren sie zu dem kleinen Mädchen und der Großmutter, die Typhus hatten. Dies war eine regelmäßige Visite. Beiden Patienten ging es gut. Frau Mason, die Mutter des Kindes, war von einer staatlichen Krankenschwester unterrichtet worden und hatte die Kranken sehr gut gepflegt. Aber sie wollte sich gern noch einmal zeigen lassen, wie man
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