Susanne Barden 04 - Weite Wege
einen Kranken im Bett badet.
Bill schien keine Eile zu haben und wartete geduldig, während Susy das Bad vorführte und der Frau zeigte, wie man das Laken eines Patienten wechselt, ohne daß er aufzustehen braucht.
Während Susy arbeitete, dachte sie darüber nach, ob sie ein Honorar von den Leuten fordern sollte. Galt dies nun schon als ein regelrechter Krankenbesuch der Gemeindeschwester? In ihrer Aufregung, wieder mit der Arbeit zu beginnen, hatte sie ganz vergessen, Bill danach zu fragen. Und da sie von ihm in die Familie eingeführt worden war, hatte sie nicht die übliche Methode von Henry Street angewandt. Eine Henry-Street-Schwester stellte sich bei ihrem ersten Besuch zuerst einmal vor. Während sie dann ihrer Tasche entnahm, was sie brauchte, klärte sie den Patienten über den Schwesterndienst und das Honorar auf. Falls er nichts bezahlen konnte, wurde auch nichts von ihm gefordert. Aber jetzt wußte Susy nicht recht, wie sie sich verhalten sollte.
Das Problem löste sich ganz von selbst. Nachdem Susy das Bett gemacht hatte, gab Frau Mason ihr anderthalb Dollar und murmelte: »Der Doktor sagte, dies sei der Preis. Es ist nicht viel für das, was Sie getan haben.« Dann fügte sie zu Susys Überraschung hinzu: »Wir halten sehr viel vom Doktor. Ich nichts auf das, was die Leute sagen. Er hat uns nur Gutes getan.«
Susy war recht verdutzt über diese rätselhafte Bemerkung. Dann dachte sie: »Es hat gewiß nichts zu bedeuten, und sie hat es nur so gesagt.« Auf der Weiterfahrt erzählte sie Bill von ihren Bedenken wegen des Honorars.
»Natürlich mußtest du ein Honorar nehmen«, sagte er. »Von heute an arbeitest du im Auftrage des Farmklubs als Gemeindeschwester von Springdale. Ich hatte die Masons schon darauf vorbereitet. Aber von unserm nächsten Patienten nimmst du kein Geld, weil er nichts hat. Ich nehme auch nichts von ihm.«
Ihr nächster Patient war ein Mann, dem ein schwerer Stein auf den Fuß gefallen war. Susy sollte den gequetschten Fuß von jetzt an täglich verbinden. Darauf fuhren sie zu einer herzkranken Frau, deren Tochter gern über Krankenpflege unterrichtet werden wollte. Damit waren die Besuche in Springdale zu Ende. Susy fand das sonderbar, sagte aber nichts. Jeder Arzt hat stille Tage, dachte sie bei sich.
»Bis zum Mittagessen bleibt uns gerade noch Zeit, nach Harville zu fahren«, sagte Bill. »Ich behandle dort einen schweren Fall von Grippe. Allein kannst du die Harviller erst besuchen, wenn du deinen eigenen Wagen hast, aber ich möchte dir gern schon heute das Dorf zeigen. Es braucht deine Hilfe besonders nötig.«
Harville lag tief in den Bergen versteckt. Sie fuhren auf einer schmalen kurvenreichen Straße, und der Wagen kam nur langsam voran. Während er mühsam die Berge hinaufkroch und in die Täler hinabschlidderte, sprach Bill von seiner Arbeit, und Susy hörte zu. Obwohl sie alles brennend interessierte, was er sagte, war sie sich doch auch seiner Nähe sehr bewußt. Es beglückte sie, seine kräftige Gestalt mit den breiten zuverlässigen Schultern an ihrer Seite zu wissen und seinen Kopf im Rahmen des Fensters als dunkle Silhouette gegen die Berge im Hintergrund zu sehen. Wie spielend lenkten seine langen geschmeidigen Hände den Wagen über die schwierige Straße.
»New Hampshire ist ein gesunder Staat«, sagte er. »Am häufigsten treten hier die Krankheiten der mittleren Jahre und des Alters auf
- Herzkrankheiten, Krebs und so weiter. Was am meisten not tut, ist Unterricht in Hygiene, und das ist nicht leicht, weil die Bevölkerung so weit verstreut ist. Die schlimmste Kinderkrankheit ist Keuchhusten. Sonst habe ich es hauptsächlich mit Unglücksfällen zu tun.« Er wandte ihr den Kopf zu und lächelte.
Sie sprühte vor Lebendigkeit. »Was für Unfälle?« fragte sie interessiert.
»Nun, im Winter Skiunfälle - meistens Knochenbrüche - und Verletzungen durch Axthiebe. Im Frühling brechen die Leute auf dem Eis ein oder verbrennen sich am Strauchfeuer.«
»Bricht denn im Winter niemand durchs Eis?«
»Törichte Frage! Im Winter ist das Eis dick und fest.«
»Ach ja, natürlich! Und was gibt’s im Sommer für Abwechslung?«
»Leider eine Menge! Da werden Leute von wilden Bullen aufgespießt oder von Pferden geschlagen; da gibt es Verletzte durch Steinschlag; Tölpel treten auf Harken; andere bekommen einen Krampf beim Schwimmen oder ziehen sich beim Heben einen Bruch zu. Auch gibt es Stiche von Stachelschweinen und Schlangenbisse, und die
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