Susanne Barden 05 - Jung verheiratet
gezittert hatten, wenn sie zu ihrer Schulleiterin gerufen wurden. Marianna würde natürlich keine Angst haben.
Merkwürdigerweise schien Marianna jedoch sehr ängstlich zu sein. Sie klopfte leise an die Tür und kam nur zögernd ins Zimmer. Susy musterte das kräftige junge Mädchen in der blauen Schwesterntracht. Wie sehr Marianna sich verändert hatte, seitdem Kit und Susy sie in New York zu sich genommen hatten! Ihr Haar, das damals immer unordentlich und zerzaust gewesen war, sah jetzt ordentlich und gepflegt aus. Die früher so blechern klingende Stimme war melodischer geworden. Die Augen, die früher einen mürrischen und stumpfen Ausdruck gehabt hatten, blickten lebhaft und interessiert in die Welt. Diese erfreulichen Veränderungen waren wohl zum großen Teil Mariannas Freundschaft mit Freddie Bowker, einem ihrer früheren Schulkameraden, zu verdanken, der jetzt Flieger wurde.
»Setz dich, Marianna«, sagte Susy freundlich. »Ich möchte dich etwas fragen. Du weißt doch sicherlich, was unter den Mädchen deiner Klasse vorgeht und ...« Susy stockte, denn Marianna war offensichtlich erschrocken.
»Was hast du denn?«
Einen Augenblick starrte Marianna schweigend in Susys Gesicht. Dann platzte sie heraus: »Ja - es geht was vor. Aber das kann ich dir
nicht erzählen. Ich bin doch keine Petze!«
Susy war ganz verdutzt. »Natürlich wäre es nicht recht von dir zu petzen«, sagte sie nach kurzem Überlegen. »Aber was ich dich fragen möchte, hat mit Petzen nichts zu tun! Es handelt sich um Frances Marks. Sie ...«
»Frances Marks? Ich dachte, du meintest -«
Marianna biß sich auf die Lippen.
Es entstand eine kurze Pause. Dann sagte Susy: »Ja, es handelt sich um Frances Marks. Wir machen uns Sorgen um sie.«
»Ach so!« Marianna war sichtlich erleichtert.
»Frances nimmt dauernd ab und scheint einen geheimen Kummer zu haben. Kommt sie vielleicht nicht mit den anderen Mädchen aus? Oder quält sie irgend etwas anderes? Schreit sie nachts im Schlaf oder hat sie mal geäußert, daß sie hier unglücklich sei?«
»Nein«, antwortete Marianna. »Ich weiß von nichts. Frances ist ein nettes Mädchen. Alle haben sie gern.«
»Ob bei ihr zu Hause nicht alles in Ordnung ist?«
»Ich weiß nicht. Sie spricht nie über ihre Verwandten.«
»Und sonst hast du auch nichts bemerkt?«
Marianna schüttelte den Kopf. »Nicht das geringste. Frances ist schrecklich dünn und zappelig, aber sonst scheint ihr nichts zu fehlen.«
»Danke, Marianna, das ist alles. Sag, wie gefällt dir denn das Leben als Krankenschwester?«
Marianna war schon aufgestanden. »Ach, es gefällt mir ganz gut. Nur ein bißchen eintönig ist es. Zur Landstreicherin würde ich mich, glaub’ ich, besser eignen. Aber Krankenschwester ist wahrscheinlich schon besser - falls ich überhaupt was tauge.«
»Aber gewiß taugst du etwas! Deine Lehrerinnen sind sehr zufrieden mit dir. Hast du wieder mal was von Freddie gehört?«
»Ja. Vielleicht kommt er zum Erntedanktag nach Hause.«
»Wirst du ihn zum Tanzfest einladen?«
»Warum nicht?« Marianna versuchte, gleichgültig zu erscheinen, aber sie errötete.
Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, schrieb Susy einen Zettel für Frances Marks und bat sie, am nächsten Morgen zu ihr zu kommen. Dann starrte sie eine Weile nachdenklich vor sich hin. Was hatte Marianna nur mit ihren Worten gemeint, daß in der Klasse etwas vorgehe? Was ging denn in der Klasse vor?
Ein sonderbares Mädchen
Susy konnte sich früher, als sie geglaubt hatte, mit Frances aussprechen. Noch am selben Abend ereignete sich ein kleiner Unfall, der einen natürlichen Anlaß dazu bot.
Wie jeden Abend, ging Susy durch die Krankensäle, um die Berichte der Stationsschwestern entgegenzunehmen. Sie liebte diese Stunde. Wenn draußen vor den Fenstern der Abendnebel braute, wirkten die hellen warmen Räume mit den vertrauten Geräuschen besonders anheimelnd. In das murmelnde Geplauder der Patienten mischten sich die schnellen, geschäftigen Schritte der Schwestern, das Klappern von Tassen und Tellern. In allen Abteilungen des Krankenhauses legten die Schwestern jetzt Instrumente fort, räumten Geschirr ab, rieben müde Rücken ein, gaben die Abendmedizin aus oder holten frisches Wasser für die Nacht. Susy dachte etwas wehmütig, daß es schön sein müßte, wieder solche Arbeiten zu verrichten, anstatt sich um beratende Ausschüsse, um die Belieferung der Küche mit Fleisch oder um die Entwicklung von Charakteren kümmern zu
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