Susanne Barden 05 - Jung verheiratet
bedrückt, daß niemand sie verstände, und begab sich an ihre Nachmittagsarbeit. Sie sprach mit Besuchern von Patienten. Sie empfing eine Deputation der Kirche. Sie gab den Pfadfinderinnen von Springdale Unterricht in Erster Hilfe; sie hielt vor dem Farmklub einen Vortrag über Hygiene.
So oft sie Zeit dazu fand, besuchte sie ihre Schülerinnen in den Klassenzimmern; und als die Mädchen nach einem Monat täglich zwei Stunden Unterricht in den Krankensälen hatten, ging sie auch dorthin. Es war Kits Aufgabe, den klinischen Unterricht zu überwachen, aber Susy lag daran, Kontakt mit ihren Schülerinnen zu bekommen. Sie waren schon daran gewöhnt, daß sie überraschend auftauchte, mit einigen von ihnen sprach, ihnen etwas erklärte oder einen guten Rat gab. Die meisten waren recht aufgeschlossen, aber an eine Gruppe von fünf Mädchen, unter denen sich Joan Dittmar befand, war schwer heranzukommen. Diese Gruppe, die ihre Freizeit stets gemeinsam verbrachte, sonderte sich von den übrigen Schülerinnen ab und schien sich insgeheim über ihre junge Schulleiterin lustig zu machen. Zwar hatte Susy keinen greifbaren Beweis dafür. Die Mädchen hörten höflich zu, wenn sie zu ihnen sprach. Sie taten ihre Arbeit gewissenhaft und folgten dem Unterricht aufmerksam. Dennoch spürte Susy einen Widerstand, und wenn sie das auch nicht ernsthaft bekümmerte, so fühlte sie sich doch ein wenig verwirrt.
Indessen lebte sich die Klasse allmählich ein und schien recht vielversprechend zu werden. »Jetzt kann man natürlich noch nichts Endgültiges sagen«, meinte Mary Addison, »aber im großen und ganzen ist die Klasse in Ordnung. Die besten Schülerinnen sind Joan Dittmar und Evelyn Adams. Beide sind intelligent und strebsam.«
Auch Kit äußerte sich zufrieden. »Es macht Spaß, mit der Klasse zu arbeiten. Dittmar und Adams sind geradezu Leuchten.«
In den ersten beiden Monaten waren drei Probeschwestern abgegangen. Eine war krank vor Heimweh geworden und hatte Susy schluchzend gebeten, sie nach Hause gehen zu lassen. Einer anderen gefiel die Arbeit der Krankenschwestern nicht. Die dritte schließlich mußte heimfahren, weil ihre Mutter gestorben war, und schrieb bedauernd, daß sie nicht mehr zurückkehren könne.
Die übrigen bildeten eine durchschnittlich gute Klasse. Schlechte Angewohnheiten und Charakterschwächen würden sich mit der Zeit abschleifen und mildern. Nur zwei Schülerinnen waren ernsthaft problematisch.
Eine davon war Ella Price, ein Mädchen aus Springdale; sie schien sich überhaupt nicht zur Krankenpflege zu eignen. Ihr fehlte nicht nur jede Entschlußkraft, sondern sie war auch unfähig, Anweisungen selbständig auszuführen. Die zweite war Frances Marks, ein mageres, nervöses Mädchen von neunzehn Jahren, das sich anfangs recht anstellig gezeigt hatte. Ihre Leistungen ließen jedoch von Tag zu Tag nach, und sie wurde außerdem immer magerer. Mary und Kit vermuteten, daß sie einen geheimen Kummer habe. Bill äußerte dieselbe Meinung, nachdem er sie gründlich untersucht hatte.
»Körperlich fehlt ihr nichts«, berichtete er Susy. »Es muß ein Kummer sein, der an ihr zehrt. Ich habe versucht, sie ein bißchen auszuhorchen, aber sie behauptet, daß ihr nichts fehle. Nimm sie dir doch mal vor. Vielleicht ist bei ihr zu Hause was faul.«
Susy überprüfte die Familienverhältnisse von Frances. Ihre Eltern waren gestorben, als sie noch klein war. Sie war bei wohlhabenden kinderlosen Verwandten aufgewachsen, die in liebevollem Ton von ihr geschrieben hatten. Auch hatten die Leistungen des Mädchens ja erst nachgelassen, nachdem sie ein paar Wochen in der Schule gewesen war. Familienverhältnisse konnten also nicht daran schuld sein.
Mary und Kit berichteten wiederholt, daß Frances beim Unterricht unaufmerksam und zerstreut sei. Als Susy die Vermutung äußerte, daß sie vielleicht nicht mit ihren Klassenkameradinnen zurechtkomme, rieten sie ihr, Marianna zu fragen. Susy hielt es für unfair, eine Schülerin nach der anderen auszufragen, aber Kit widersprach ihr.
»Sei nicht albern!« sagte sie ärgerlich. »Du willst Frances doch nur helfen. Wenn Marianna etwas gehört hat - natürlich nichts Vertrauliches, sondern etwas, was alle Mädchen wissen -, kann sie es dir ruhig sagen.«
Nach einigem Zögern gab Susy nach. Sie rief den Krankensaal an, in dem Marianna gerade arbeitete, und bat, daß man sie zu ihr ins Büro schickte. Lächelnd erinnerte sie sich daran, wie sie selber und Kit früher immer
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