Susanne Barden 05 - Jung verheiratet
ihre Güte vergelten. Sie hatten ihr vorgeschlagen, eine Schwesternschule zu besuchen, damit sie sich später ihr Brot allein verdienen konnte.
»Die Ausbildung einer Krankenschwester kostet ja nicht viel«, erklärte Frances. »Außer den Trachten braucht man nur wenig Kleidung. Unterkunft, Verpflegung und Wäsche sind frei. Außerdem gibt es vier Wochen Ferien im Jahr.«
Susy nickte ermunternd.
»Es war gewiß recht unbequem für meine Verwandten, mich bei sich zu haben, obwohl ich sie so wenig wie möglich gestört habe. Sie sind immer so beschäftigt.«
»Womit beschäftigt sich Ihre Tante denn?«
»Ach, sie hat doch das große Haus und muß den Dienstboten sagen, was sie tun sollen. Und dann arbeitet sie für ihren Klub. Außerdem ist sie kränklich und leidet oft an Kopfschmerzen.«
»Aha! Und Ihr Onkel? Ist er viel zu Hause?«
»Nein, tagsüber gar nicht. Er besitzt das größte Stoffgeschäft in der Stadt und hat natürlich sehr viel zu tun. Wenn er dann abends heimkommt, will er seine Ruhe haben.«
»Haben Sie noch andere Verwandte?«
»Ja, noch zwei Kusinen, aber die sind sehr arm. Onkel John ist der einzige der Familie, der Geld hat.«
Susy verbarg ihre Gedanken und fragte: »Warum wollten Sie damals eigentlich so gern nach Hause fahren?«
»Ach - alles andere erschien mir besser, als immer kranke Menschen um mich zu haben. Mir wird übel, wenn ich Kranke sehe. Es tut mir so leid, aber ich kann wirklich nichts dafür. Tantchen und Onkel John wußten ja, daß ich hierher zurückkehren würde. Wäre ich entlassen worden, dann hätten sie mich in eine andere Schule geschickt, und alles wäre wieder von vorn losgegangen.«
»Haben Sie Ihren Verwandten gesagt, daß Sie kranke Menschen nicht ertragen können?«
»Ja. Tantchen meinte, ich würde mich schon daran gewöhnen. Aber ich hab’ mich nicht daran gewöhnt. Im Gegenteil, es ist nur immer schlimmer geworden.«
»Was möchten Sie denn gern tun, Frances?«
Das schmale Gesicht des Mädchens erhellte sich. »Ich würde sehr gern Kindergärtnerin werden. Ich liebe Kinder über alles. In Boston gibt es eine sehr gute Schule für Kindergärtnerinnen - die Barstow- Schule. Aber die Ausbildung dauert drei Jahre. Außerdem muß man für Pension, Unterricht und Kleidung bezahlen. Ich kann Onkel unmöglich darum bitten. Er hat doch schon so viel für mich getan. Was werden Sie nun mit mir machen, Frau Barry? Schicken Sie mich bitte nicht fort! Haben Sie nicht irgendeine andere Arbeit für mich?«
Susy blickte nachdenklich über den sonnigen Rasen mit den dunklen Schattenflecken. Schließlich sagte sie: »Möchten Sie vielleicht Frau Cooney beim Ausbessern und Zeichnen der Wäsche helfen?«
»Ach, wie gern will ich das tun! Und ich brauche nicht mehr in die Krankensäle zu gehen?«
»Natürlich nicht. Ich werde Frau Cooney sogleich Bescheid sagen. Sie können schon morgen mit Ihrer Arbeit anfangen. Nachmittags haben Sie dann frei. Und am Unterricht brauchen Sie auch nicht mehr teilzunehmen.«
»Ich werde also Assistentin von Frau Cooney sein?«
»Ja - bis ich etwas Besseres für Sie gefunden habe. Natürlich sollen Sie ein kleines Gehalt bekommen.«
Entrüstet erzählte Susy ihren Inspektorinnen, was sie von Frances erfahren hatte. »Ich werde den guten Onkel John mal ein bißchen auf den Trab bringen. Er und Tantchen sind ein Paar alte Geizhälse.« Noch am selben Tag diktierte sie einen Brief an Onkel John. »Ihre Nichte eignet sich nicht zur Krankenschwester und sollte lieber Kindergärtnerin werden«, schrieb sie. »Es wäre ein großer Fehler, sie weiter an unserer Schule zu lassen. Wir empfehlen Ihnen, sie in der Barstow-Schule für Kindergärtnerinnen anzumelden, die sie gern besuchen möchte.«
Onkel John antwortete umgehend. Er betonte in langen schwülstigen Sätzen, daß er leider nicht in der Lage sei, seiner Nichte eine kostspielige Ausbildung als Kindergärtnerin zu ermöglichen. Er habe sie seit ihrem sechsten Lebensjahr bei sich aufgenommen und könne nicht noch mehr für sie tun. Sie solle daher im Springdaler Krankenhaus bleiben.
Susy hatte nichts anderes erwartet. Sie bedankte sich für seine schnelle Antwort. Wie sehr müsse es ihn bedrücken, Frances nicht helfen zu können! Um so mehr würde er sich gewiß freuen, von ihr zu hören, daß es seiner Hilfe nicht mehr bedürfe.
»Bischof Allingham, ein alter Freund meines Vaters, verwaltet seit vielen Jahren einen Fonds zur beruflichen Förderung mittelloser junger Menschen.
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