Susanne Barden 07 - Ende gut, alles gut
Vielleicht war sie müde. Die Schwestern haben es nicht leicht, und es war ziemlich rücksichtslos von mir, so spät am Abend noch etwas zu verlangen.«
»Unsinn«, widersprach Susy. »Sie ...«
»Mag sein, daß sie es nicht böse gemeint hat«, unterbrach sie Lot. »Aber es ist nicht Aufgabe der Krankenschwestern, die Patienten zu schelten, wenn sie ihr Abendbrot nicht gegessen haben. Schließlich sind wir hier in einem Krankenhaus und nicht in einem Kindergarten.«
Susy stimmte ihm innerlich von Herzen zu. Da sie nichts zur Verteidigung von Schwester Watson sagen konnte, zog sie sich zurück und ging ins Büro, wo sie Pat allein antraf. »Diese Watson ist ein richtiges Ekel«, sagte sie zornig.
»Ja, das ist wahr. Ich bin fast mit den Karten fertig, Susy. Wollen Sie bitte die Narkotika eintragen?«
»Gern!« Susy zog einen Stuhl an den Schreibtisch und machte sich an die Arbeit. Trotz ihrer Konzentration auf die Narkotika verfolgten ihre Gedanken noch einen zweiten Weg. Wie kam es nur, daß manche Krankenschwestern so wenig Verständnis für die Patienten aufbrachten? Susy hatte das schon früher an anderen Schwestern beobachtet - meistens an jungen Mädchen. Vermochten sie sich nicht in die Lage eines Kranken zu versetzen, weil es ihnen an Phantasie und Lebenserfahrung mangelte? Das Krankenhaus war ihnen offenbar so vertraut, daß sie sich einfach nicht vorstellen konnten, es könnte andere Menschen ängstigen. Aber ein Kranker, der aus seinem gewohnten Leben herausgerissen und durch seine Krankheit beunruhigt war, sah das Krankenhaus natürlich zuerst als einen Ort voller Schrecken an, wußte er doch weder, was ihn dort erwartete, noch was von ihm erwartet wurde. Mit einem ruhigen Patienten fertigzuwerden, war kein Kunststück. Die jungen Dinger begriffen nicht, daß sich ihre Fähigkeit als Krankenschwester erst an schwierigen Patienten erwies. Ja, sie gewöhnten sich daran, das Äußerste an Liebenswürdigkeit von einem Patienten zu verlangen, bis sie schließlich auch eine gute Seele wie Herrn Torrey als Last empfanden. »Ob ich früher auch so gewesen bin?« fragte sich Susy erschrocken. »Nein, unmöglich, nicht unter Fräulein Camerons Fuchtel!«
»Wo hat Watson eigentlich gelernt?« fragte sie Pat später.
»Ich weiß es nicht. Die Schule muß jedenfalls nicht viel taugen. In dem Krankenhaus, wo ich ausgebildet wurde, kam zuerst der Patient und dann die Krankenschwester. Das hat man uns vom ersten Tag an eingebleut.«
»Uns auch«, sagte Susy mit einem Lächeln und dachte an ihre strenge Lehrerin. Dann hörte man nur noch das Kratzen der beiden Federn im Büro.
Bevor Susy nach Hause fuhr, guckte sie noch einmal in Lots Zimmer. Nur ein schwaches Nachtlicht brannte. Beide Männer schienen zu schlafen. Doch plötzlich bewegte sich Lot. »Susy?«
»Ja?« Sie ging auf Zehenspitzen an sein Bett und beugte sich zu ihm hinunter.
»Tut mir leid, daß ich vorhin so giftig war«, flüsterte er. »Das Mädchen verdient nichts anderes. Aber nachdem Sie fort waren, hab ich Abel noch tüchtig runtergeputzt, weil er so lammfromm ist und sich alles gefallen läßt. Ich glaube, es hat ihn ziemlich getroffen. Wenn meine Zunge nur nicht immer mit mir durchgehen wollte!«
Susy nickte. Offenherzigen Menschen erging es wohl oft so, daß sie andere verletzten, wenn sie freundlich sein wollten, oder sie erschreckten, wenn sie ihnen Mut machen wollten.
»Beruhigen Sie sich nur«, antwortete sie. »Herr Torrey wird schon verstehen, wie Sie es gemeint haben. Mich hat Ihr schroffes Wesen niemals gestört. Übrigens interessiert mich Ihr Urteil über Krankenschwestern. Ich habe niemals einen persönlichen Freund als Patienten gehabt, der nicht zum medizinischen Beruf gehörte, und möchte daher gern einmal Ihre Meinung hören.«
Aber an diesem Abend wich Lot ihrer Frage aus. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder etwas über Krankenschwestern sagte. Nachdem Abel Torrey entlassen und seine weitere Pflege seiner Frau und der Fürsorgeschwester überlassen worden war, kam ein Junge von neunzehn Jahren in sein Bett, den plötzlich eine heftige Nierenkolik befallen hatte. Er befand sich als Feriengast in den Weißen Bergen. Seine Eltern kamen nach Springdale, sobald sie von seiner Erkrankung erfuhren. Sie verlangten ein Einzelzimmer und eine besondere Pflegeschwester für ihn. Einzelzimmer waren jedoch nicht frei, und so legte man John Becket zu Lot, der ruhig daliegend alles beobachtete, was um ihn herum vorging.
Die
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