Susanne Barden 07 - Ende gut, alles gut
passiert ihr das nicht zum zweitenmal. Sie waren eine gute Schwester, ehe das geschah. Jetzt müßten Sie eine noch bessere sein. Glauben Sie mir, niemand ist beim Medizinausgeben zuverlässiger als Sie!«
»Wenn ich meinen Irrtum irgendwie wettmachen könnte, würde ich mich leichter fühlen«, sagte sie leise. »Aber wie könnte ich das?
Ich habe beinahe einen Menschen getötet; darüber komme ich nicht hinweg. Ich - muß wohl doch von der Schule abgehen.«
»Warten Sie noch ein wenig«, riet ihr Susy.
»Das wird nichts nützen«, antwortete Dora niedergeschlagen. »Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit, Frau Barry. Es hat mir gutgetan, Ihnen alles erzählen zu können.« Sie wandte sich um und ging aus dem Zimmer.
Susys Gesicht und Haare waren feucht von Dampf. Sie öffnete die Tür, hakte sie fest und riß das Fenster auf. Dann begann sie die Medizingläser zu waschen. Schade, daß Doras Irrtum nicht sogleich ans Tageslicht gekommen war! Eine strenge Bestrafung durch die Schulleitung wäre viel heilsamer für das junge Mädchen gewesen als die quälenden Selbstvorwürfe.
Nachdem Susy die Gläser abgetrocknet hatte, stellte sie sie in den Schrank. Kurz darauf sah sie Dr. Marshall, den Arzt von Herrn Rollins, durch den Flur gehen. Sie folgte ihm zum Büro, um seine Meinung über den Fall zu hören.
Er ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen und studierte stirnrunzelnd die Karte des Kranken, die Pat Glennon ihm gereicht hatte. Dann hob er den Kopf. »Hat er geschlafen?«
»Nein«, antwortete Pat. »Das Morphium hat überhaupt nicht gewirkt. Er fährt immer noch.«
Dr. Marshall stützte die Ellenbogen auf den Tisch und vergrub das Gesicht in den Händen. »Wenn er keinen Schlaf findet - bei dem Herzen ...« Er schob den Stuhl zurück und stand auf. »Wir wollen einmal zu ihm gehen.«
Pat bat Susy mit einem Blick, ihn zu begleiten, da sie alle Hände voll zu tun hatte. Susy ging hinter Dr. Marshall durch den Korridor zum Zimmer von Herrn Rollins, aus dem ihnen seine unermüdliche Stimme entgegenschallte. Doch an der Tür blieben die beiden verwundert stehen. Sie hörten eine zweite Stimme - die von Dora Macgraw - sagen: »Gehn Sie doch mal eine Weile nach hinten und schlafen Sie ein bißchen. Ich werde unterdessen steuern. Ich fahre sehr gut.«
»Vielleicht später. Ich will nur noch durch diese Stadt fahren. Nett, daß Sie mitgekommen sind! Ich fühlte mich schon recht einsam.«
»Es war nett von Ihnen, daß Sie mich mitgenommen haben. Viele
Autofahrer fürchten sich, jemand mitzunehmen. Aber ich verspreche Ihnen, nicht mit Ihrem Wagen auszureißen, wenn Sie schlafen.«
»So was würde ich Ihnen auch gar nicht zutrauen. Sie haben ein liebes, ehrliches Gesicht.«
Susy und Dr. Marshall standen wie gebannt vor der angelehnten Tür und horchten. Herr Rollins sprach jetzt nicht mehr so laut wie früher, sondern im Unterhaltungston. »Möchten Sie nicht eine Tasse Kaffee trinken?« fragte er. »Ich habe einen Mordshunger. Dort hinter dem Stopplicht ist eine kleine Imbißstube, die ich von früher her kenne. Wollen wir hineingehen?«
»Ja. Ich würde auch gern etwas essen.«
»Fein! Das Licht hat gerade gewechselt!«
Nach einer kurzen Pause sagte Dora: »Ich trinke aber nur unter der Bedingung mit Ihnen Kaffee, daß Sie sich nachher hinlegen und mich fahren lassen.«
»Gemacht! Na, hier sind wir! Vorsicht, klemmen Sie sich nicht die Finger in der Tür! Scheint ’ne ganz hübsche Kneipe zu sein. Guten Morgen, mein Herr! Bitte zwei Tassen Kaffee und zwei Brötchen mit Huhn. Nein, danke, wir bleiben hier an der Theke.«
Susy vergaß sich und ihre Umgebung. Die Imbißstube, die Brötchen, der Kaffee - alles stand ihr so lebhaft vor Augen, daß sie sich nicht gewundert hätte, wenn Dr. Marshall in den Raum getreten wäre und noch zwei Tassen Kaffee bestellt hätte.
Indessen wickelte sich die Geschichte weiter ab. Nachdem Herr Rollins die Zeche bezahlt hatte, gingen die beiden auf die Straße. Dora wollte Herrn Rollins das Geld für ihr Frühstück zurückgeben. Er weigerte sich, es anzunehmen, und sie gab schließlich nach. Dann schien Herr Rollins die Wagentür zu öffnen und vorne einsteigen zu wollen.
»Nein!« sagte das Mädchen schnell. »Sie haben mir versprochen, daß Sie sich nach hinten legen werden.«
»So? Habe ich das versprochen? Na, vielleicht später ...«
»Nein, jetzt gleich! Sie sind stundenlang gefahren und todmüde. Ich kenne diese Straße. Sie brauchen ja nicht zu schlafen. Legen
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