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Sushi Für Anfaenger

Sushi Für Anfaenger

Titel: Sushi Für Anfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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lange nicht ausgegangen, dass sie vergessen hatte, wie man sich richtig anzog. Sie ließ sich auf den Stuhl sinken, schob die Beine unter die Tischdecke, die barmherzig ihren ansonsten sichtbaren Slip versteckte, und bestellte dankbar einen Gin-Tonic.
    Während Clodagh die zeitungsformatgroße Speisekarte studierte, standen zwölf bis vierzehn schwarz-weiß gekleidete Kellner an verschiedenen Punkten des Saals aufmerksam bereit, und jedesmal, wenn sie von der Speisekarte aufblickte, hatten sie die Plätze gewechselt, ohne dass sie oder Dylan gesehen hätten, dass einer sich bewegt hatte.
    »Es ist ein bisschen wie in einem Science-Fiction-Film«, flüsterte sie Dylan über den Tisch zu.
    Dylan lachte, und seine Stimme hallte in dem leeren Saal, so dass sich Clodaghs Nackenmuskeln abrupt zusammenzogen und sie wieder einmal das eigentümliche Gefühl hatte, dass sie ihn nicht kannte. Aber er war der Mann, den sie damals unbedingt haben musste, sonst wäre sie verrückt geworden. Ein Echo dieses intensiven Liebesgefühls berührte sie und machte sie stumm. Und verwirrt, weil ihr nichts einfiel, was sie zu ihm sagen konnte.
    Das dauerte nur eine Sekunde. Dann fiel ihr natürlich alles Mögliche ein. Schließlich ist es Dylan , dachte sie und fühlte sich gleich wohler.
    »Meinst du, ich sollte mit Molly zum Arzt gehen?«
    Dylan antwortete nicht.
    »Wenn sie mit dem Hungerstreik nicht bald aufhört«, erzählte Clodagh weiter, »bleibt mir nichts anderes übrig. Immer nur Schokolade, da bekommt sie ja keine Vitamine und nichts und -«
    »Was für eine Vorspeise nimmt du?«, unterbrach Dylan sie brüsk.
    »Oh! Oh, ich weiß nicht.«
    »Die Speisekarte ist unglaublich«, sagte Dylan ein bisschen zu pointiert.
    »Oh, ja natürlich.«
    »Kannst du die Kinder nicht einfach für ein paar Stunden vergessen?«, fragte er, jetzt sanfter.
    »Entschuldige. Macht es dich verrückt?«
    »Wahnsinnig«, sagte er entnervt.
    Sie entspannte sich. Schließlich saß sie mit ihrem attraktiven Mann in einem schönen Restaurant. Sie tranken Gin-Tonic und aßen Tomatenbrot, und schon bald würde man ihnen köstliches Essen und ein paar Flaschen Wein bringen, während zwei Menschen auf Molly und Craig aufpassten, die ihre Kinder weder missbrauchen noch misshandeln würden. Was könnte schöner sein?
    »Entschuldige«, sagte sie wieder und wandte sich, diesmal ernsthaft, der Speisekarte zu.
    »Jetzt verstehe ich, was du meinst«, sagte sie. »Oh, es gibt Muscheln. Und Ziegenkäse-Soufflee. Meine Güte! Was soll ich bloß nehmen?«
    »Vorspeise oder Suppe«, sagte Dylan nachdenklich, »das ist hier die Frage.«
    »Wieso oder ?«, fragte Clodagh. »Was ist das für ein Wort, ›oder‹? Ich glaube, du meinst ›und‹.«
    Mit der Maßlosigkeit eines Menschen, der selten Gelegenheit auszugehen hat, bestellte Clodagh Unmengen, aus dem Bedürfnis heraus, dem seltenen Abendvergnügen das Höchstmögliche an Genuss abzuringen. Vorspeise und Sorbet und Suppe und Beilage. Hauptgericht und Rotwein und Weißwein und Wasser.
    »Mit oder ohne Kohlensäure?«, fragte der Kellner, und schüttelte seine schmerzende Hand. Jetzt wusste er, wie es Tolstoi ergangen war, als er Krieg und Frieden schrieb.
    Clodagh sah erstaunt zu ihm auf. War das nicht klar?
    »Beides!«
    »Sehr gut.«
    »Sollten wir noch mehr bestellen?«, fragte Clodagh vor Freude erbebend, als der Kellner gegangen war.
    »Im Moment nicht.« Dylan lachte; ihre Begeisterung steckte ihn an. »Aber warte, bis wir diese Bestellung verspeist haben.«
    »Ob wir Dessert und Käse bestellen?«
    »Na klar. Irish Coffee?«
    »Und Likör. Und Petit Fours.«
    »Fanzösischen Kaffee?«
    »Mais oui! Vielleicht rauche ich auch eine Zigarre.«
    »So kenne ich meine Liebste!«
    Als sie die Vorspeise gegessen hatten, wurde Clodagh von dem Essen und dem Wein elegisch, trotzdem konnte sie sich nicht richtig entspannen. Plötzlich ging ihr auf, woran das lag.
    »Es ist so lange her, dass ich beim Essen nicht unterbrochen worden bin, und ich finde das ganz komisch«, kicherte sie. »Ich habe dauernd das Bedürfnis, den anderen ihr Essen klein zu schneiden.«
    Dann fuhr sie fort: »Siehst du den Mann da drüben?« Sie zeigte auf einen New Yorker Loft-Typen, der in seinem Essen herumstocherte. »Am liebsten würde ich einen Bissen Filet auf die Gabel spießen und sagen: ›Einen für den Papa.‹ Ich glaube, das mache ich jetzt.«
    Dylan war halb entsetzt und halb amüsiert, als Clodagh so tat, als wollte sie aufstehen.

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