Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
Märtyrertum – läuft man unversehens offene Türen ein.
Natürlich erschrak Tom zunächst einmal, als sich Daisy wie eine Kanonenkugel an sein marineblaues Sakko warf und es schluchzend einspeichelte. Auf dem Weg ins Wohnzimmer begriff er so viel, dass irgendetwas ganz Schreckliches mit ihrem Verlobungsring passiert sein musste. Und während er sie umsichtig in einem Sessel platzierte, erfuhr er, dass der Ring im Klo gelandet und sie ihn aus Versehen runtergespült hatte. Als er schließlich mit einer Tasse starkem Schwarztee für sie auftauchte, kam unter viel Schluchzen und Stammeln die Sache mit der Veranda heraus.
Um ehrlich zu sein, vermochte Tom kaum Entsetzen über die ganze traurige Geschichte zu empfinden. In seinem Leben war in den letzten sechs Monaten so viel schief gelaufen, dass ihm dies nur mehr wie ein weiterer Strohhalm auf dem Rücken eines Kamels vorkam, das ohnehin schon platt im Wüstensand lag und um Gnade flehte. Natürlich war er betroffen von dem Verlust des Rings. Und es verschlug ihm die Sprache, als er die Verheerungen sah, die eine grobe Elektrosäge an seiner wunderschönen, blitzblanken Holzveranda angerichtet hatte.
Aber da war Daisy und hielt ihm total verloren die linke Hand unter die Nase – wie ein Kind einen verletzten Finger, dachte er halb zärtlich, halb ungehalten. Als ob er die Hand küssen und alles wieder heil machen könnte!
»Vergiss einfach die ganze Sache«, winkte er ab.
Aber sie sah noch immer derart bekümmert aus, dass er den Tee beiseite stellte und ihr stattdessen ein großes Glas Wein einschenkte. Insgeheim fand er ihre Reaktion übertrieben. Schließlich handelte es sich nur um ein Schmuckstück, nicht um ihren Job oder ihre Zukunft oder ihren Ruf. Es war kein Weltuntergang. Und ja, er hielt sie für schlampig und leichtsinnig. Aber so war Daisy nun mal. Wenn er einen Ausbund an Ordnung und Sauberkeit hätte heiraten wollen, dann hätte er eins der Mädchen aus dem Jugendverein der anglikanischen Kirche genommen, in die ihn seine Eltern jeden Sonntag geschleppt hatten. Seine Mutter war ja, weiß Gott, scharf genug darauf gewesen, dass er in eine der ›örtlichen Familien‹ einheiratete, wie sie es ausdrückte. Tom schauderte es noch immer bei dem bloßen Gedanken. Dann würde er jetzt Bridge spielen, und man würde ihn drängen, doch schon mal einen Sparvertrag für eine ordentliche Bestattung abzuschließen. Und seine Frau würde selbstverständlich noch immer ihren Verlobungsring tragen, sicher eingezwängt zwischen dem von der Hochzeit und dem von der Firmung.
Dem Himmel sei Dank für Daisy! Doch er hatte schon vor langer Zeit lernen müssen, dass der ungestüme Enthusiasmus, den er ganz besonders an ihr liebte, auch dazu neigte, aus dem Ruder zu laufen. Doch damit musste er eben leben, genauso wie mit ihrer Gewohnheit, dauernd die Schranktüren offen stehen zu lassen oder ihr elefantöses Trompeten, wenn sie sich schnäuzte. Oder, auf der Plusseite, ihre unbändigen blonden Locken und diese Schlafzimmeraugen, die einmal blau, dann wieder grün funkelten. Soweit
es Tom anging, gab es die Menschen nur im Paket, und wer Verstand besaß, erkannte das.
Also tätschelte er Daisys Rücken, ließ einen gewaltigen Stoßseufzer in ihrem wilden Schopf versinken und tauschte einen stummen Blick mit dem Hund, immerhin ein geplagter Geschlechtsgenosse.
Der einzig wirklich unangenehme Moment kam, als er schließlich doch noch das Thema Versicherung ansprach; sie hatten keine für den Ring abgeschlossen, da die Beiträge ihrer Ansicht nach unverschämt hoch waren.
»Tja, als wir uns entschieden, das mit der Versicherung bleiben zu lassen, gingen wir davon aus, dass der Ring nicht von deinem Finger verschwinden könnte. Ich meine, andere Leute verlieren ihre Ringe doch auch nicht«, sagte Tom beiläufig und löste damit bei Daisy einen neuerlichen Heulkrampf aus.
Insgeheim verspürte sie fast eine Art Befriedigung darüber, dass sie nun doch noch die unsensible Behandlung erfuhr, die sie sich selbst in Aussicht gestellt hatte. Ein Teil ihrer Gedanken beschäftigte sich bereits mit der Fortsetzung, wenn sie ihre Freundinnen anrief und ihnen das ganze Unglück brühwarm erzählte. »Und dann hat er zu mir gesagt, dass andere Leute ihre Ringe schließlich auch nicht verlieren!«, würde sie sagen. »Dieser Mistkerl!«, würden die Freundinnen ihre Empörung teilen, nur um sich sogleich in einer Flut von Anekdoten zu ergehen über irgendwelche Bekannte, allesamt
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