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Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allmen und die Libellen
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freigenommen.«
    Allmen kamen die Tränen. »Die Nerven«, schluchzte er, »die
Nerven.«
    Carlos tätschelte ihm unbeholfen den Unterarm.
    Langsam fasste sich Allmen. Der Gedanke, knapp dem Tod
entronnen zu sein, rückte in den Hintergrund, und ein anderer baute sich vor
ihm auf. »Wo sind die Libellen, Carlos?«
    »In Sicherheit, Don John. Wenn Sie sie brauchen, bringe
ich sie.«
    »Vielleicht brauche ich sie bald.«
    »Dann bringe ich sie bald.«
    »Sag mir, wo du sie versteckt hast.«
    »Im Piano, Don John.«
     
    Carlos machte nie Witze. Deshalb starrte Allmen
erschrocken auf die Stelle, wo bis vor ein paar Stunden sein Bechstein
gestanden hatte.
    Er blickte Carlos an, der steif und mit unbewegter Miene
auf dem vordersten Rand des Ledersessels saß, und wieder zurück zum verwaisten
Platz.
    »Im Piano?«, wiederholte er ungläubig.
    Mit einem Mal verzog sich Carlos' Gesicht zu einem breiten
Grinsen. Dann zeigte er seine beiden mit Gold eingefassten Vorderzähne und
lachte.
    Vorsichtig begann Allmen, in dieses Lachen einzustimmen.
Doch plötzlich wurde er von einem hysterischen Lachanfall geschüttelt. Er hielt
sich die schmerzende Stelle und lachte, verschluckte sich, hustete, lachte
wieder und schlug ein ums andere Mal dem erschrockenen Carlos auf den Oberschenkel.
    Als er sich beruhigt und wie ein Dauerläufer am Ziel
schwer atmend zu sich gefunden hatte, sagte Carlos: »Don John,
una sugerencia, nada mas.«
    »Si, Carlos?«
    »A veces hay que luchar. Manchmal
muss man kämpfen.«
     
    Noch am selben Abend zog Allmen ins Hotel. Im Gärtnerhaus
war ihm das Leben zu gefährlich geworden.
    Er entschied sich für das Grand Hotel Confederation, ein
elegantes, wenn auch etwas verstaubtes Fünfsternehotel im Stadtzentrum. Er
kannte dort den Direktor, der früher das Republique in Biarritz geleitet hatte,
wo Allmen in besseren Zeiten gerngesehener Stammgast gewesen war.
    Er hatte vor, ein normales Zimmer zu bestellen, kam aber
davon ab, weil er befürchtete, diese ungewohnte Bescheidenheit könnte falsch
interpretiert werden und seine Kreditwürdigkeit beeinträchtigen. Er bestellte
eine Juniorsuite.
    Carlos half ihm beim Packen und dabei, beide Koffer in den
Cadillac von Herrn Arnold zu bringen.
    Allmen sah ihn nachdenklich vor dem schmiedeeisernen Tor
stehen und dem Wagen nachblicken.
    Die Fahrt dauerte keine zehn Minuten. Die Rezeption hatte
Anweisung, den Direktor zu benachrichtigen, sobald Herr von Allmen eintraf. Er
plauderte ein wenig mit dem Direktor und erzählte ihm von den Bauarbeiten in
seiner Villa, die ihn zwangen, für ein paar Tage ins Hotel zu ziehen.
    Danach brachte ihn der Direktor persönlich in seine Suite.
Er hatte sich erlaubt, ihm einen kleinen Upgrade zu machen und ihn statt in
einer Juniorin der Rosensuite unterzubringen, wie früher der Herr von Allmen
seine Gäste.
    Allmen hatte die Rosensuite nie betreten und wusste nicht,
wie großzügig er seine Gäste immer untergebracht hatte. Dabei hatte es sich
immer um diejenigen gehandelt, denen er zu wenig nahestand, um sie in der Villa
einzuquartieren.
    Die Suite besaß ein sehr geräumiges Vestibül mit einem
Gäste-WC, einer Garderobe und drei Türen. Sie führten in zwei Schlafzimmer mit
eigenen Bädern und in einen großen Salon mit Wintergarten und Blick über die
Altstadt.
    Allmen fühlte sich augenblicklich zu Hause. Er packte
seine Koffer aus, bestellte ein Clubsandwich und eine halbe Flasche Bordeaux
und läutete die erste Runde des Kampfes ein.
     
    »Yes?« Die Stimme klang amerikanisch und
verschlafen.
    »Bist du es, Jojo?«
    »Who is it?«
    »John. John Allmen?«
    »Wie spät ist es?«
    »Halb acht.«
    »Bist du verrückt geworden? Holt der mich doch tatsächlich
um halb acht aus dem Bett!«
    »Abends. Es ist neunzehn Uhr dreißig.«
    »Shit.« Das Handy wurde abgelegt, Seufzen,
Husten, Stille.
    »Halb zwei. Dreizehn Uhr dreißig. Ich bin in New York. Was
willst du?«
    »Deinen Vater. Ich muss mit ihm reden.«
    »Ich reise nicht mit meinem Vater.«
    »Ich wusste nicht, dass du in New York bist.«
    »Verzeih, dass ich dich nicht um Erlaubnis gefragt habe.«
    »Wie erreiche ich deinen Vater?«
    »Ruf ihn an.«
    »Ich habe keine Nummer.« Sie seufzte. »Moment.«
    Er wartete. Endlich meldete sie sich wieder und gab ihm
zwei Nummern. Das Festnetz und sein Handy.
    »Sonst noch etwas?« Täuschte er sich, oder klang das
plötzlich freundlicher? Hoffnungsvoll? »Nein. Nichts sonst. Danke.« Sie legte
auf.
     
    Während das Läuten des

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