Suter, Martin
Verlassen des Hauses brummte: »Für mich ist
die Sache damit erledigt«, murmelte Allmen: »Er ist viel mehr wert.«
Das war alles, was er an Widerstand aufbrachte.
Allmen ging in die Bibliothek und verbrachte ein paar
bleierne Stunden reglos im Lesesessel. Er sah Carlos kommen und gehen, ohne von
ihm bemerkt zu werden. Er hing seinen Gedanken nach und wartete auf das
Mittagessen. Dabei musste er eingedöst sein, doch dann hörte er Geräusche aus
der Küche. Es war noch dunkler geworden. Jeden Moment würde es zu schneien
beginnen.
Allmen stemmte sich aus dem Sessel. Als er an der Stelle
vorbeiging, wo die Rückseite des Gewächshauses einem hohen Dickicht zugewandt
war, schien ihm, als hätte sich dort etwas bewegt.
Die Parkbäume standen dicht und dunkel. Die Stämme hoher
Tannen und Fichten ragten aus einem fast undurchdringlichen Unterwuchs aus Eiben
und Farn. Manchmal sah Allmen an dieser Stelle einen Stadtfuchs herauskommen
oder verschwinden, der in den Gärten und Vorplätzen des Villenviertels nach
Essbarem suchte.
Er ging zurück, stellte sich an die Glaswand und starrte
auf die Stelle.
Ein harter Schlag traf seine Brust. Im Fallen hörte er ein
dumpfes Plopp und spürte einen Schmerz am Hinterkopf.
Dritter Teil
»Don John. Don John. Don John«,
sang jemand. Allmen schlug die Augen auf. »Don John. Don John. Don John.«
Carlos beugte sich über ihn und tätschelte dazu seine Wangen im Takt.
Allmen sah sich um. Er lag auf dem Boden seiner
Bibliothek, den Kopf auf ein Kissen gebettet. Carlos kniete neben ihm.
Er hob den Kopf ein wenig und spürte einen Stich in der
linken Hälfte seines Brustkastens. Er sah an sich hinunter und bemerkte, dass
sein Oberkörper nackt war. Links von ihm lagen blutige Kleenex. Auf der
schmerzhaften Stelle lag auch eines. Rechts von ihm waren Jackett, Weste,
Krawatte, Hemd und Unterhemd verstreut. Die beiden Letzteren waren ein wenig
blutverschmiert.
Er setzte sich auf.
»Cuidado«, ermahnte ihn Carlos, »Vorsicht.«
Allmen nahm das Tüchlein von der Brust. Er blutete leicht
aus etwas, das wie eine Schnittwunde aussah.
Auch der Hinterkopf tat ihm weh. Er tastete ihn ab und
stieß auf eine große Beule. Sie fühlte sich feucht an. Als er die Fingerspitzen
ansah, waren sie ein wenig von Blut gefärbt.
»Was ist passiert?« Aber bevor Carlos antworten konnte,
erinnerte er sich. »Man hat auf mich geschossen!«
Carlos nickte. »Es sieht so aus.«
»Und weshalb bin ich nicht tot?«
Carlos hob etwas vom Boden auf und hielt es ihm hin. »Un
milagro, Don John, ein Wunder.«
Es war Allmens linker Hosenträger. Sein breites gewebtes
Band war im Ton des Anzugs gehalten und wurde mit Knöpfen an der Hose
befestigt. Träger und Anzug stammten vom selben Schneider und gehörten
zusammen. Die Verstellschnallen waren aus breitem Messing und hatten - ein
kleiner Gag des Schneiders - Allmens Initialen eingeprägt.
Jetzt war eine davon durch eine grobe Verformung
unkenntlich gemacht. Die Schnalle war nach innen gebogen, das Arretierungsteil
auf der Rückseite hatte sich von einem der Scharniere gelöst und stand ab,
scharf und gefährlich.
Allmen verstand. Die Schnalle hatte die Kugel abgelenkt.
Die Arretierung hatte ihm die Schnittverletzung beigebracht. Ein Wunder, weiß
Gott.
Gestützt von Carlos, rappelte er sich auf. Der Schmerz am
Hinterkopf wurde stechend, wieder berührte Allmen die Beule mit der Hand.
Carlos deutete auf einen kleinen Beistelltisch. Allmen
hatte durch den Aufprall der Kugel das Gleichgewicht verloren und war rücklings
mit dem Kopf gegen das Tischchen gestürzt. Deshalb wohl auch die kurze
Bewusstlosigkeit.
In der Scheibe befand sich ein kleines sauberes
Einschussloch. Das schwarzgrüne Unterholz sah bedrohlich aus.
Allmen zog den Vorhang vor. Die Bewegung verursachte
einen Stich in seiner Brust. Er tastete die Umgebung der Verletzung ab. Die
Rippe schmerzte von dem Schlag, den ihr die Kugel versetzt hatte.
»Un milagro«, wiederholte Carlos und bekreuzigte
sich.
Allmens Beine gaben nach. Carlos stützte ihn bis zum
Lesesessel und hüllte ihn in die Decke. Allmen wurde schwarz vor den Augen.
Als er wieder erwachte, brannte Feuer im Schwedenofen.
Alle Vorhänge waren geschlossen, und die Stehlampe spendete ihr behagliches
Licht. Allmen trug ein T-Shirt und eine Hausjacke, keine Ahnung, wie Carlos ihm
das angezogen hatte.
»Wie spät ist es?«
»Bald fünf.«
»Müssen Sie nicht arbeiten, Carlos?«
»Ich habe heute Nachmittag
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