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Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allmen und die Libellen
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über sich die Schritte von Carlos.
Hörte ihn im Bad, hörte ihn die Treppe herunterkommen, hörte ihn in der Küche
hantieren.
    War es richtig gewesen, sich ihm anzuvertrauen?
    Konnte er sich wirklich so vorbehaltlos auf ihn verlassen?
    Plötzlich durchfuhr es ihn siedend heiß: Vierhunderttausend
Franken Belohnung! Das würde Carlos und seine Familie in Guatemala auf Lebzeiten
wohlhabend machen! Ein Anruf bei der Polizei würde genügen. Er würde sich zwar
ein paar Schwierigkeiten mit den Migrationsbehörden einhandeln, aber das
Schlimmste, was ihm passieren konnte, war, des Landes verwiesen zu werden. Mit
vierhunderttausend Franken in der Tasche ein erträgliches Schicksal. Vor
allem, wenn man die Alternative bedachte: zwei Jobs, und nur einer davon
bezahlt. Und ein Arbeitgeber, den er immer wieder durchfüttern musste.
    Allmen sprang aus dem Bett. Er musste die Libellen aus
dem Haus schaffen, je früher, desto besser.
    Unter der Dusche legte er sich einen Plan zurecht: Er
würde die Schalen mit ein paar Kleidern und Wäschestücken in einen Koffer
packen und mit der Bahn verreisen, an irgendeinen anderen Ort. Dort würde er
den Koffer deponieren. Vielleicht in einem Schließfach. Oder bei der
Gepäckaufgabe. Oder in einem Lagerhaus. Er würde improvisieren. Der Plan hatte
noch einen anderen Vorteil: Er würde nicht zu Hause sein, wenn Dörig auftauchte.
    Aber aus dem Plan wurde nichts. Als Allmen wie ein
irischer Landadliger, im Tweedanzug mit Hosenträgern und Weste, reisefertig
aus dem Zimmer trat und Carlos um die Glasschalen bitten wollte, war dieser
nicht mehr im Haus. Es war erst halb sieben, eine halbe Stunde früher als
Carlos' normaler Arbeitsbeginn, aber er war weg. Der Tisch war für das
Frühstück gedeckt, ein Zettel lag neben dem Teller, und Carlos hatte mit seiner
kindlichen Handschrift darauf geschrieben: »Muy
buenos dias, Don John, ich muss eine Besorgung machen. Der Tee ist in
der Thermoskanne, und die Kaffeemaschine ist vorbereitet, Sie müssen sie nur
einschalten, dann macht sie Kaffee. Disculpe, verzeihen
Sie - Carlos.«
    Allmen schenkte sich Tee ein. Was war das für eine
Besorgung, die ihn um diese Zeit aus dem Haus trieb? Was konnte so wichtig
sein, dass er ihm nicht einmal den early morning tea brachte?
    Er würde auf Carlos' Rückkehr warten müssen. Er hatte
keine Ahnung, wo dieser die Libellen versteckt hatte. Ohne seine Hilfe würde
er sie nie finden.
    Falls sie überhaupt noch im Haus waren.
    Ein Gefühl der Hilflosigkeit überkam ihn. Er schob die
Teetasse beiseite, ging in die Küche zur Kaffeemaschine und drückte auf »ein«.
    Es dauerte nicht lange, bis ein summendes Geräusch
entstand und anschwoll. Aber es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis das Wasser
kochte, die Küche sich mit Kaffeeduft füllte und das schwarze Wasser aus dem
Filter erst zu tropfen, dann zu rinnen begann.
    Er nahm die volle Kanne aus der Maschine und ging zurück
zum Frühstückstisch. Als er das kleine Vestibül durchquerte, sah er durch das
Fenster eine massige Gestalt auf die Eingangstür zukommen. Dörig.
    Schon flog die Tür auf, als sei der Besitzer nach Hause
gekommen.
    »So, schon auf den Beinen«, stellte er beim Anblick des
vollständig angekleideten Allmen fest. Sein Blick fiel auf den Koffer, der bei
der Garderobe stand. »Aha, Reisepläne.«
    Allmen hatte sich so weit gefasst, dass er hervorbringen
konnte: »Ich hab Sie erst später erwartet.«
    »Erwartet ist wohl leicht übertrieben«, grinste Dörig und
deutete auf den Koffer.
    Dann streckte er fordernd die Hand aus wie beim letzten
Mal und starrte seinen Schuldner bei gesenkter Stirn an.
    Die einzige Reaktion, die Allmen zustande brachte, war ein
hilfloses Achselzucken.
    »Nein?«, fragte Dörig spöttisch.
    Allmen schüttelte den Kopf.
    Dörig öffnete die Eingangstür und rief: »Okay, Männer,
angreifen!«
    Drei stämmige Männer in Overalls kamen herein. Sie trugen
Seile und Gurte.
    Allmen war wie gelähmt. Er sah die Männer auf sich
zukommen und schloss die Augen.
    Aber kein Schlag, kein Tritt, kein Stich. Die Schritte
gingen weiter, polterten über die Diele und verstummten in den Teppichen der
Bibliothek.
    Allmen öffnete zögernd die Augen. Er war allein im
Vestibül. Vorsichtig ging er in den Wohnraum und linste von dort aus in die
Bibliothek.
    Die drei machten sich unter Dörigs Aufsicht an seinem
Flügel zu schaffen.
    Schicksalsergeben sah Allmen zu, wie sie seinen
Bechstein-Stutzflügel wegschafften.
    Als Dörig beim

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