Suter, Martin
bemerkte Allmen, »Liebe ist doch das klassische
Motiv für Mord.«
»Da haben Sie wohl recht. Aber nur, solange sie glüht.
Meine ist erloschen.«
»Warum?«
Hirt zuckte mit den Schultern. »Das hat sie so an sich,
die Liebe. Sie geht, wie sie gekommen ist. Das müssten Sie doch wissen. Als
einer aus dem täglich wachsenden Heer Verflossener meiner Tochter.«
Er griff nach der Zigarre, überlegte es sich anders und
zog die Hand zurück. »Pech für Sie: Ich bin nicht mehr interessiert an Ihren
Geiseln. Sie können sie behalten. Und noch einmal Pech: Ich kann den Killer
nicht zurückpfeifen. Denn ich habe ihn nicht losgeschickt.«
Allmen nahm jetzt doch einen Schluck Armagnac. Er duftete
nach achtzig langen, beschaulichen Jahren und schmeckte rund und weich.
»Wer dann?«
Der Alte sah auf seine Armbanduhr. »So viel Zeit haben wir
noch, bevor der persönliche Assistent in Aktion tritt.« Er füllte die Gläser
nach und lehnte sich zurück.
»Diesen Sommer werden es zehn Jahre sein, seit die
Libellenschalen verschwunden sind. Sie befanden sich in einer
Galle-Ausstellung im Museum Langturm am Bodensee und waren Leihgaben der
Familie Werenbusch.«
»Die Familie Werenbusch?«
»Die. Es war eine barbarische Tat. Kennen Sie das Museum?«
Allmen musste passen.
»Es liegt etwas abseits in einer alten Mühle außerhalb
des Ortes. Die Räuber rammten die Tür mit einem Geländewagen, so viel hat die
Spurensicherung ergeben, und zerstörten im Vorbeigehen acht unersetzliche
Objekte. Nur die Glaskuben über den fünf Prunkstücken der Ausstellung wurden
sorgfältig abmontiert. Die Sache war in weniger als elf Minuten vorbei. So
lange dauerte es nämlich vom Alarm bis zum Eintreffen der Sicherheitsleute. Die
Täter wurden bis heute nicht gefasst. Die Schalen waren für die Ausstellung
natürlich versichert worden. Der Versicherungswert betrug fast vier Millionen
Franken.«
Klaus Hirt hatte ein gutes Gefühl für Timing. Er nippte an
seinem Glas und klopfte die Asche seiner Zigarre ab. Erst jetzt sagte er:
»Fast das Doppelte von dem, was ich bezahlt habe.« Er ließ
den Satz auf Allmen wirken.
»Nicht Sie waren der Auftraggeber?«
»Ich hätte nie geduldet, dass man Werke von Galle
zerstört, um den Eindruck zu erwecken, da seien Anfänger am Werk gewesen.«
»Aber gekauft haben Sie die Beute schon.«
»Es war eine Win-Win-Situation, wie man heute sagt. Für
mich die Erfüllung eines Traums. Und für die Verkäufer ein hervorragendes
Geschäft.«
»Zwei Millionen für weniger als elf Minuten Arbeit. Nicht
schlecht.«
»Sechs«, korrigierte Klaus Hirt.
»Sechs Minuten? Noch besser.«
»Millionen.« Hirt sah Allmen bedeutungsvoll an.
»Sechs Millionen? Weshalb plötzlich?«
»Zwei von mir und vier von der Versicherung.«
Allmen konnte im schwachen Licht erkennen, dass der
Erzähler lächelte. Jetzt schaltete er. »Sie meinen, es waren die Besitzer...?«
Hirt nickte.
»Aber Sie sagten doch, die Werenbuschs...«
»Die Familie befand sich damals in einer äußerst prekären
Lage, die, wenn man davon erfahren hätte, noch viel prekärer geworden wäre.
Einer der Söhne, ein sehr praktisch und skrupellos veranlagter Mensch, hatte
die Idee, wie man aus dem Engpass herauskommen konnte, und übernahm auch gleich
die Durchführung. Er war es auch, der mich danach kontaktierte. Wir kannten
uns. Unter Galle-Sammlern kennt man sich.«
»Wie heißt er mit Vornamen? Ich war mit einem Werenbusch
im Charterhouse.«
»Terry.«
»Terry Werenbusch!« Allmen sah das Bild eines herrischen,
schmallippigen Jungen mit fliehendem Kinn vor sich, drei Klassen unter ihm. Er
war im zweiten Jahr von der Schule geflogen. Wegen einer Geschichte, an die er
sich im Moment nicht erinnern konnte.
»Sie kennen ihn?«
»Kennen ist übertrieben. Sie glauben, er hat den Diebstahl
selbst durchgeführt?«
»Ich wäre nicht überrascht. Er ist ein Draufgänger.
Grenadieroffizier, Basejumper, Skeletonfahrer, Jäger.«
Allmen trank einen größeren Schluck vom Armagnac. Hirt
beobachtete es und wollte ihm nachschenken. Sein Gast hielt die Hand über das
Glas.
»Kommen Sie schon. Könnte sein, dass Sie es nötig haben.«
Allmen erlaubte ihm nachzuschenken.
Hirt fuhr fort: »Haben Sie eine Erklärung dafür, dass die
Schale, die Sie beim ersten Mal geklaut haben, beim zweiten Mal wieder da
war?«
»Galle hatte mehrere davon gemacht. Oder es war eine
Kopie.«
Hirt schüttelte lächelnd den Kopf. »Zwei Tage, nachdem Sie
die Schale haben
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