Suzanna
Verputz schlug.
Atemlos stürmte sie hoch und hörte erst in diesem Moment das Grollen des Donners, der Jenny geängstigt und dazu gebracht hatte, ihre Mutter zu suchen. Suzannas einziger Gedanke war, so viel Abstand wie möglich zwischen dem Irren und ihrem Kind zu gewinnen. Ihre Absätze klapperten auf der eisernen Wendeltreppe, die zu Biancas Turm führte.
Seine Finger schossen zwischen den offenen Treppenstufen durch und packten ihren Knöchel. Mit einem Aufschrei der Wut und des Entsetzens trat sie nach ihm, schüttelte die Finger ab und stolperte das restliche Stück hinauf. Die Tür war geschlossen. Den Tränen nahe, warf sie ihr Gewicht gegen das massive Holz. Es gab schmerzhaft langsam nach, sodass sie hineinfallen konnte. Doch bevor sie die Tür zuschlagen konnte, drängte er sich in den Raum.
Suzanna wappnete sich innerlich und war sicher, dass es nur Sekunden dauern würde, bis sie den Einschlag der Kugel spürte. Er keuchte und schwitzte, und seine Augen waren glasig. In seinem Mundwinkel zuckte ein Muskel.
»Gib her!« Die Waffe zitterte, als er näher kam. Bei dem Zucken eines Blitzes sah er sich wild in dem dunklen Raum um. »Gib sie mir jetzt!«
Er hatte Angst – vor diesem Raum. »Sie waren schon einmal hier drin.«
Es stimmte. Nur einmal. Und er war verstört wieder hinausgelaufen. Irgendetwas war hier, das ihn hasste. Es kroch kalt wie Eis über seine Haut. »Gib mir die Halskette, sonst bringe ich dich um und nehme sie mir!«
»Das war ihr Raum«, erwiderte Suzanna. »Biancas Raum. Sie starb hier, als ihr Mann sie aus diesem Fenster stieß.«
Er konnte nicht widerstehen und blickte zu dem Fenster.
»Sie kommt noch immer her, um zu warten und die Klippen zu beobachten.« Sie hörte wie erwartet Holt die Treppe hinaufstürmen. »Sie ist jetzt hier. Nehmen Sie sie.« Sie hielt dem Mann die Smaragde entgegen. »Aber Bianca wird nicht zulassen, dass Sie damit davonkommen.«
Sein Gesicht war kreidebleich und schweißüberzogen, als er nach der Halskette griff. Er packte sie, fühlte jedoch nicht wie Suzanna Wärme, sondern nur Kälte – und Entsetzen.
»Sie gehört jetzt endlich mir.« Er fröstelte und schwankte.
»Suzanna«, sagte Holt ruhig von der Tür her, »geh weg von ihm!« Er hatte seine Waffe gezogen. Er hielt sie mit beiden Händen. »Geh weg«, wiederholte er, »langsam!«
Sie machte einen Schritt, einen zweiten. Livingston achtete nicht auf sie. Er wischte sich mit der Hand, in der er die Waffe hielt, über die trockenen Lippen.
»Es ist aus«, sagte Holt zu ihm. »Lassen Sie die Waffe fallen!« Doch Livingston starrte weiterhin hektisch atmend auf die Halskette. »Geh hinaus, Suzanna!«
»Nein, nicht ohne dich.«
Holt hatte keine Zeit, um sie zu verwünschen. Er sah, dass der Mann nicht mehr an seine Waffe dachte, sondern nur zitternd auf die Smaragde starrte.
Seine Augen auf Livingston gerichtet, packte Holt ihn am Handgelenk. »Es ist aus!«, wiederholte er.
»Das gehört mir.« Rasend vor Wut und Angst, griff Livingston an. Er feuerte einmal in die Decke, bevor Holt ihn entwaffnet hatte. Selbst dann wehrte er sich, doch der Kampf war kurz. Bei dem nächsten Krachen des Donners heulte er auf und schlug wild um sich, während die anderen in den Raum preschten.
Desorientiert und verängstigt wirbelte Livingston herum.
Berstendes Glas klirrte. Dann ein Laut, den Suzanna nie vergessen würde. Der entsetzte Schrei eines Mannes. Während Holt hinzusprang, um ihn zu retten, wirbelte Livingston durch das zerbrochene Fenster und stürzte auf die Felsen hinunter, auf die der Regen prasselte.
»Mein Gott!« Suzanna presste sich gegen die Wand, ihre Hände vor ihren Mund gelegt, um ihren eigenen Schrei zu ersticken. Arme legten sich um sie, Stimmen redeten auf sie ein.
Ihre Familie war in das Turmzimmer geströmt. Sie beugte sich zu ihren Kindern herunter und drückte Küsse auf ihre Wangen. »Es ist alles in Ordnung«, beschwichtigte sie sie. »Es ist jetzt alles in Ordnung. Ihr braucht vor nichts mehr Angst zu haben.« Suzanna blickte zu Holt. Er stand da, sah sie an, hinter ihm die Schwärze, das Glitzern der Smaragde zu seinen Füßen. »Alles ist jetzt in Ordnung. Ich bringe euch gleich nach unten.«
Holt schob seine Waffe wieder ins Halfter. »Wir bringen sie nach unten.«
Eine Stunde später waren die Kinder beruhigt und schliefen. Holt ergriff Suzanna am Arm und führte sie auf die Terrasse. Angst und Zorn, die er empfunden hatte, seit Jenny weinend zu ihm gekommen
Weitere Kostenlose Bücher