Svantevit: Radiks Geschichte - Historischer Roman (German Edition)
spie aus und ließ sich ins Wasser gleiten. Mit einer Hand klammerte er sich an die Eiskante, holte tief Luft und tauchte den Kopf so weit es ging unter Wasser. Mit den Füßen versuchte er, den Grund zu erreichen, aber es war zu tief.
Obwohl die Eisfläche schneefrei war und die Sonne hoch am Himmel stand, war es unter Wasser so dunkel, dass er gerade bis zu seiner Hand sehen konnte. Das eiskalte Wasser brannte in seinem Gesicht und an seinen Händen und plötzlich wurde ihm klar, was seiner kleinen Schwester zum Verhängnis geworden war und auch ihn jetzt ernsthaft bedrohte.
Er trug dicke Pelzsachen und die hatten sich sofort voll Wasser gesogen und zogen ihn jetzt mit bleierner Schwere in die Tiefe. Nur mit Mühe konnte er sich festhalten und auch die zweite Hand an die Eiskante bringen. Die Luft drohte ihm auszugehen und er zog mit den Armen und strampelte mit den Beinen aus aller Kraft, bis er erst seinen Kopf über Wasser und schließlich sich selbst ganz aus dem Eisloch ziehen konnte.
Radik würde aber nicht einfach heulend davonlaufen und seine Schwester auf dem Grund liegen und wie einen toten Kaulbarsch von Krabben zerfressen lassen. Er war ein guter Schwimmer und Taucher und das Wasser konnte hier am Ufer doch nicht so tief sein.
´Halte durch, ich bin gleich bei dir´, dachte er.
Er riss sich die schwere Pelzjacke und die nassen Beinkleider herunter, wobei er mit seinen vom scharfen Eis aufgerissenen Händen dicke Blutspuren auf ihnen hinterließ.
Nur in seinem dünnen leinenen Unterzeug sprang er kopfüber zurück ins Wasser; er wollte möglichst gleich mit dem ersten Schwung bis auf den Grund kommen. Er hatte die Kälte des Wassers eindeutig unterschätzt, das ihn sofort in tödliche Umklammerung nahm und die Wärme des Lebens aus ihm zu saugen begann und nur mit Mühe konnte er verhindern, sich zu verschlucken oder gar vor Schreck einzuatmen. Es war wohl vor allem seiner Jugend und der Gewöhnung an größere körperliche Anstrengungen zu verdanken, dass sein Herz nicht den Dienst versagte.
Schon nach zwei kräftigen Zügen erreichte er den Meeresgrund, doch er wusste, dass seine Kraft und seine Luft bei weitem nicht so lange reichen würden, wie beim sommerlichen Tauchen. Er suchte den Boden ab, den er jetzt gelblich schimmernd undeutlich erkennen konnte, mit den Händen tastend und sich mit kräftigen Stößen der Beine vorantreibend.
Dann fand er sie. Sie lag auf dem Rücken, so als ob sie schliefe. Ihre Augen waren geschlossen und ihr Gesicht tief gerötet. Als er sie packen wollte merkte er, dass seine Finger durch die Kälte ihre Bewegungsfähigkeit fast völlig eingebüßt hatten. Er konnte seine frosterstarrten Hände nur noch in den Gelenken bewegen und so griff er Rusawa wie mit Klauen unter die Arme, zog sie sich an die Brust und umklammerte sie mühsam. Da er ihr die Sachen nicht ausziehen konnte, war es ein ziemliches Gewicht, das er bewältigen musste, um sie beide aus dem Wasser herauszubringen.
Gerettet waren sie dann allerdings immer noch nicht. Sie würden beide vollkommen durchnässt bei klirrendem Frost auf dem Eis liegen, Rusawa dem Tode und Radik vor Anstrengung sicherlich einer Ohnmacht nahe. Er würde sich zwingen müssen, seine klammen, wahrscheinlich schon gefrierenden Kleider wieder anzuziehen, um dann sich und seine Schwester zur nächsten Siedlung zu schleppen, aber daran wollte und konnte er jetzt nicht denken. Erst einmal mussten sie aus dem Wasser und zwar so schnell, wie möglich, denn er spürte, dass ihm die Luft knapp wurde und die Kräfte schwanden.
Rusawa im Arm haltend schaute er nach oben und erblickte das sauber ausgeschnittene lichtdurchflutete Eisloch schräg über sich. Da musste er hin, koste es was es wolle! Er merkte sich die Stelle, denn er bezweifelte, dass er noch genügend Ausdauer besaß, um während des Auftauchens seine Richtung ändern zu können und sollte er statt an die Luft an die Eisdecke stoßen, würde es sie wahrscheinlich beide das Leben kosten.
Er ging tief in die Hocke, um sich so kraftvoll wie möglich abzustoßen, denn da er die Arme nicht frei hatte, mussten die Beine die ganze Arbeit der Fortbewegung übernehmen. Als er sich abstieß merkte er, wie schwer die Last in seinen Armen war. Er kam kaum vorwärts und seine unterkühlten Beine waren kurz davor, von Krämpfen gelähmt zu werden. Eine eiskalte tödliche Stille umgab ihn, während er tapfer um ihrer beider Leben kämpfte. Er hatte sich, wenn manchmal erzählt
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