Sydney Bridge Upside Down
hätte ich mir andere Namen ausgedacht und die Lage erklärt. Aber er nahm mich nicht dran, er schaute nicht mal in meine Richtung.
Der fette Norman ist dumm, was erklärt, dass er keinen anderen Job bekommen hat als den in Calliope Bay, dachte ich, und es gab eigentlich genug Gründe, bei dieser Einschätzung zu bleiben, doch ich blieb nicht dabei, denn auf einmal fiel mir ein, wie ich mich aus meinem Dilemma befreien könnte. Der Einfall kam so plötzlich, dass ich die Augen zukniff und die Wörter an der Tafel nicht mehr sah.
Doch sobald ich mich an den Gedanken gewöhnt hatte, ging es mir besser. Der fette Norman störte mich nicht mehr. Also Herr Norman. Ich war es nämlich nicht, der dem fetten Norman seinen Spitznamen verpasst hatte, es war ein Junge namens Bruce, sein eigener Sohn, der ihn gleich am ersten Tag, in der großen Pause, als fetten Norman bezeichnete. Na gut, das können wir auch, sagten wir alle. Bruce hatte nichts dagegen, dass wir seinen Vater so nannten, warnte uns aber, dass er in Rage geraten würde, wenn er es mitbekäme. »In was?«, fragte Dibs. »In eine mörderische Rage. Er bringt euch alle um«, erklärte Bruce. »Sachen gibt’s«, sagte Dibs und sah mich an. Ich zögerte ein wenig. »Tja, Sachen gibt’s«, antwortete ich, bemüht, den alten, freundschaftlichen Ton herzustellen. Aber egal. Als ich verstand, als ich mein Dilemma verstand, störte es mich kaum noch, dass mein Lehrer dumm war, von mir aus durfte er sogar wieder Herr Norman heißen. Vom Unterricht bekam ich dann nicht mehr viel mit, ich sah ihn nur an, sah, wie sein Mund auf- und wieder zuschnappte, ich hörte kein Wort von dem, was er sagte.
Ich beschloss, nach der Stunde – es war die letzte – möglichst schnell abzuhauen, ich wollte nur kurz zu Hause nach Caroline schauen und dann, wie versprochen, mit Cal und Dibs zur Höhle raufgehen.
Leider wurde ich von Herrn Norman aufgehalten.
»Sag mal, Harry Baird«, rief er, als ich schon an der Tür war, »kann ich mal kurz mit dir reden?«
»Was gibt’s denn, Herr Lehrer?«, sagte ich und trat an sein Pult.
»Ich habe über das Beispiel nachgedacht, das du gebracht hast.«
»Wie bitte?«
Er runzelte die Stirn. »Dein Beispiel einer Katastrophe. Es beunruhigt mich etwas. War das etwas, was du irgendwo gehört hast? Kennst du jemanden, der sich an Mr Phelps rächen möchte?«
»Nein, das hab ich mir ausgedacht«, sagte ich, »ich dachte, es wär vielleicht eine gute Katastrophe.«
»Nicht, dass du mich falsch verstehst, Harry«, sagte er, »ich möchte nur wissen, ob Mr Phelps irgendetwas Böses getan hat, mir geht es gar nicht um die Art der Rache. Hat er etwas Böses getan?«
Ich tat, als würde ich darüber nachgrübeln, und nickte bedächtig. »Nicht, dass ich wüsste, Herr Lehrer.«
»Wirklich nicht?«
»Nicht, dass ich wüsste«, wiederholte ich und fragte mich, warum er sich so dafür interessierte, es ging ihn doch eigentlich überhaupt nichts an.
»Harry, du weißt ja, ich bin nicht nur euer Lehrer, ich bin auch der Vater von drei kleinen Kindern. Ich denke natürlich auch an sie, ihnen soll schließlich nichts passieren. Das verstehst du doch, oder?«
»Hmm, also –«
»Du bist doch alt genug, um zu verstehen, dass ein Vater seine Kinder vor Gefahr schützen will«, sagte er, »wenn hier jemand ist, der etwas Böses getan hat, dann will ein Vater das natürlich wissen. Also, ich meine, wenn dieser böse Mensch eine Gefahr für die Kinder darstellt. Verstehst du das?«
»Klar«, sagte ich. Merkwürdiger Typ, dachte ich.
»Du glaubst also nicht, dass er etwas Böses getan hat?«, fragte er. »Bist du dir da sicher?«
»Er hat nichts gemacht.«
»Warum hast du es dann vorhin gesagt?«
»Ich hab’s mir nur ausgedacht – als Beispiel.«
»Dafür, dass du es dir ausgedacht hast, hattest du es aber ganz schön flott parat. Außerdem hattest du so einen Ton dabei … Aber gut, wenn du sagst, dass er nichts gemacht hat. Du hast es dir also ausgedacht, ja?«
»Genau. Herr Lehrer, Sie können ja auch Papa fragen oder Mr Kelly, die können bestimmt etwas über Sam Phelps sagen. Also, wenn Sie mir nicht glauben, dann fragen Sie die.«
»Doch, doch, ich glaube dir ja.«
»Mr Phelps ist ein freundlicher alter Mann.«
»Wie gesagt, ich glaube dir.« Er sah mich noch einmal sehr ernst an. »Ich habe da wohl etwas missverstanden, vielleicht hätte ich dich gar nicht fragen sollen …«
Ich wartete, bis er fertig nachgedacht hatte.
»Gut
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