Sydney Bridge Upside Down
würde. Hätten wir uns auch sparen können.«
»Warum ist deine Mutter eigentlich weg?«, fragte Bruce.
»Sie ist in die Stadt gefahren, sie wollte Urlaub machen. Dann ist sie krank geworden. Sie kommt bestimmt bald zurück.«
»Meine Mutter fährt zum Glück nie weg«, sagte Bruce. »Allein mit dem fetten Norman – das wäre wirklich nicht zum Aushalten.«
»Ich habe nichts gegen meinen Vater«, sagte ich. »Ich finde es gut, wenn er da ist und sich kümmert, das macht irgendwie mehr Spaß.«
»Macht dir die Schule eigentlich Spaß?«, fragte Bruce und ging zur der einzigen Mauer, die die Abrissleute hier oben hatten stehenlassen. Er setzt sich in den Schatten.
»Nein, mir macht die Schule keinen Spaß mehr«, sagte ich. »Als ich klein war, fand ich es ganz gut. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal gepfiffen habe. Das war in der Schule. Ich fand mich ganz toll, weil ich auf einmal pfeifen konnte. Susan Prosser hat gesagt, ich soll mich nicht so aufspielen. Sie hat wohl gedacht, ich hätte ihr hinterhergepfiffen. Hat aber nicht gestimmt. Ich habe nur so gepfiffen, ich war ja noch ganz klein damals. Ich fand es einfach super, dass ich mir das selbst beigebracht hatte. Ich habe dann eine Zeitlang ständig gepfiffen.«
»Kann ich auch ganz gut«, sagte Bruce und begann, ein zartes, kleines Liedchen zu pfeifen, das ich nicht kannte.
»Kannst du auch mit zwei Fingern im Mund pfeifen?«, fragte ich. »Hier, ich kann es dir zeigen.«
Ich zeigte es ihm. Vielleicht spiele ich mich doch gern auf, ich wollte ihn nämlich beeindrucken, und zwar richtig. Es war der schrillste Pfiff, den ich je in meinem Leben produziert hatte, Bruce kniff die Augen zu und hielt sich die Ohren.
»Na, wie fandst du das?«, sagte ich. »Nicht schlecht, was?«
»Das schaffe ich nicht«, sagte Bruce, »nie im Leben.« Er hörte sich ein wenig wie Dibs an, der vorhin meine Muskeln bewundert hatte. Klar, dass er mich beneidete.
»Ist reine Übungssache«, sagte ich, »man muss nur dranbleiben, dann kann man eigentlich alles erreichen. Ich habe früher immer am Hang über dem Hafen geübt. Beim ersten Mal habe ich Sam Phelps ganz schön reingelegt. Er verstand nicht, woher die Pfiffe kamen, er stand da und hat sich um sich selbst gedreht. Nach einer Weile dann hat er nicht mehr reagiert, wenn ich gepfiffen habe, er hat sich nicht mehr umgedreht.«
Bruce stand auf und trat dicht an die Kante. »Ja, ja«, meinte er, »der fette Norman sagt das auch immer. Übung macht den Meister. Er meint natürlich die Hausaufgaben.«
»Hausaufgaben mag ich überhaupt nicht«, sagte ich. Er hatte mir den Rücken zugekehrt und sah zum Moor rüber. Ich pfiff scharf, um zu prüfen, wie schreckhaft er war. Aber er zuckte nicht einmal, er hielt sich nur die Ohren zu. Plötzlich lachte er laut auf.
Ich ging zu ihm. Dibs und Cal standen am Waldrand, sie sahen sich hektisch um. Ja, wo kommen sie denn nur her, die Pfiffe?
»Achtung, Bruce, runter«, sagte ich, »sonst sehen sie uns.«
Wir setzten uns schnell hin.
»Cal ist heute verdammt schlecht drauf«, erklärte ich, »wahrscheinlich verpetzt er mich, wenn er uns hier oben sieht.« Ich zögerte und überlegte, ob ich Bruce vertrauen konnte. Ja, dachte ich, warum soll ich ihm nicht erzählen, was mir durch den Kopf geht. »Wenn Papa rauskriegt, dass ich hier oben bin, kommt er mit der Peitsche – und genau das ist es, was Cal will.«
»Mit der Peitsche?«, fragte Bruce erstaunt.
»Ja, manchmal nimmt er die Peitsche«, sagte ich, »nicht immer, aber, ja, manchmal ist das so. Besonders wenn er schlecht gelaunt ist.«
»Das ist ja schrecklich«, sagte Bruce, »so was würde der fette Norman nie machen.«
»Kommt ja nicht so oft vor«, sagte ich und bereute es schon, dass ich ihm davon erzählt hatte. »Papa ist auch meistens ganz gut gelaunt.«
»Das darf trotzdem eigentlich nicht passieren«, sagte Bruce im Ton eines Erwachsenen, »Eltern sollten ihre Kinder niemals auspeitschen. Ich würde nicht mal ein Pferd peitschen, und erst recht kein Kind.«
»Behalt es am besten für dich«, sagte ich, »es ist gar nicht so schlimm. Meistens haue ich ab, er kriegt mich nicht, er ist ja nicht so schnell mit seiner Krücke. Ich renne zum Moor und lasse mich eine Weile nicht blicken. Wie gesagt, nicht so schlimm, also behalt es lieber für dich.«
»Okay, versprochen«, sagte Bruce und schüttelte den Kopf.
»Mal gucken, was die anderen Kinder da unten machen.« Ich trat an die bröckelnde Mauer. Vielleicht
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