Symphonie der Herzen
Wimper zu zucken, all die bescheidenen Pachtbauern verjagt hatte, deren Familien seit Jahrhunderten dieses Land bevölkert und nutzbar gemacht hatten.
Dann, endlich, entdeckte er am Horizont Aberdeens Anwesen Haddo House, ein imposantes und repräsentatives Gebäude, wie auch James sich im Stillen eingestehen musste, dem aber dennoch jegliche Spur von Fantasie oder gar architektonischer Raffinesse fehlte. Der Stallmeister, der James’ Kutscher dabei behilflich war, die Pferde auszuspannen, hatte einen eindeutig irischen Akzent, und dankbar für seine Hilfe schüttelte James ihm die Hand, wobei er ihm eine 20-Shilling-Münze überreichte, wohl wissend, dass einem Mann, der in Aberdeens Diensten stand, bares Geld noch immer am liebsten war.
Als er dann jedoch das Wohnzimmer betrat und seine Mutter wiedersah, schien sein Herz für einen Moment lang stehen zu bleiben. Sie war so schmal geworden und ihre Wangen so eingefallen, dass sie aussah, als wäre sie eine kranke alte Frau. Dabei war sie doch gerade erst vierzig Jahre alt.
»James!«, rief sie, und über ihr Gesicht blitzte ein glückliches Lächeln, während sie versuchte, sich aus ihrem Schaukelstuhl vor dem Kamin zu erheben.
»Mutter.« Traurig schloss James sie in seine Arme. »Hast du etwa den gesamten Winter hier verbracht?«
Sie nickte. »Ja. Eigentlich hatte ich gar nicht so lange bleiben wollen, aber dann hatte ich mir eine Bronchitis zugezogen und war zu krank zum Reisen, sodass Aberdeen irgendwann einfach ohne mich nach London zurückgekehrt ist. Er musste ja ins Parlament. Und immerhin hat er die Jungs mitgenommen ...«
Behutsam half James seiner Mutter, sich wieder in ihrem Schaukelstuhl niederzulassen, und kniete vor ihr nieder. »Ich hätte dich schon längst einfach mitnehmen und nach Barons Court bringen sollen.«
Sanft streichelte sie ihm über die Wange. »Aber du bist doch inzwischen ein erwachsener Mann. Du brauchst keine Mutter mehr, die auf dich aufpasst. Meine Kleinen hingegen brauchen mich umso dringender. Arthur, zum Beispiel, ist doch erst zwei. Ich habe große Angst, was mit ihm passiert, wenn ich -« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, doch James verstand auch so, was sie hatte sagen wollen.
Liebevoll küsste er ihre schmale Hand. »Nichts da von wegen >Wenn ich .. .<. Du wirst mir noch sehr alt, hörst du? In London ist der Frühling übrigens schon längst angekommen. Sobald du wieder kräftig genug bist für die Reise, nehme ich dich mit nach Stanmore. Das warme englische Klima dort wird dir guttun.« Traurig wandte er den Blick ab und seufzte im Geiste: Wenn ich doch bloß selber glauben könnte, was ich da gerade erzähle ...
»Wie geht es denn Claud?«
»Bestens. Er brennt geradezu vor lauter Ehrgeiz und setzt gegenwärtig alles daran, um als Abgeordneter für die Grafschaft Tyrone ins Parlament einziehen zu können.«
»Das ist schön. Und um ihn brauche ich mir ja zum Glück auch keine Gedanken zu machen. Du wirst schon für ihn sorgen.«
Mit ernster Miene erhob James sich wieder und nahm in dem Sessel gleich gegenüber seiner Mutter Platz. »Es gibt übrigens Neuigkeiten, die ich dir noch gar nicht erzählt habe.« Nur unter größten Mühen schaffte er es, den Kummer und den Schmerz zurückzudrängen, die ihn jedes Mal übermannten, wenn er an Louisa dachte und daran, dass sie einen anderen offenbar sehr viel lieber gehabt hatte als ihn. Doch er durfte sich nichts anmerken lassen und räusperte sich. »Ich habe Lady Louisa Russell einen Antrag gemacht, und sie hat Ja gesagt.«
»James, du bist verlobt? Und deine Auserwählte ist die Tochter des Herzogs von Bedford?«
»Ja, und sobald der Ehevertrag unterzeichnet ist, werden wir die Sache offiziell machen. Louisa ist übrigens seine Zweitälteste Tochter, nicht die älteste.«
Lächelnd blickte Harriet ihrem Sohn in die Augen. »Dann brauche ich nicht zu fragen, ob es eine Liebesheirat ist, oder? Du hattest mir ja versprochen, nur aus Liebe zu heiraten.« Scherzhaft-mahnend hob sie den Finger.
Was soll ich darauf nun entgegnen?, dachte James. Jahrelang hat es für mich nur Louisa gegeben, und, ja, ich habe sie wirklich geliebt. Aber ob ich sie jetzt, nach alledem, was vorgefallen ist, noch immer liebe ... Ich weiß es nicht.
»In jedem Fall sind mir die Russells sehr sympathisch«, erwiderte er. »Sie haben mich mit offenen Armen empfangen. Und ich kann es kaum abwarten, bis auch du Lady Louisa kennenlernst. Ich bin mir sicher, du wirst sie mögen.«
»Dann
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