Symphonie der Herzen
muss ich wohl umso schneller wieder gesund werden, um rasch nach London zurückkehren zu können, wie? Ich möchte doch schließlich unter keinen Umständen die Hochzeit meines Erstgeborenen verpassen. Ich freue mich so sehr für dich, James.«
Mit Erleichterung stellte James in diesem Augenblick fest, dass der kleine Arthur eine kräftige schottische Amme hatte, die seiner Mutter die Hauptlast mit der Kinderbetreuung abnahm. Und auch Aberdeens noch immer nicht verheiratete Töchter aus erster Ehe waren hier in Haddo House. Allerdings erlitt James, als er seine Halbschwestern wiedersah, gleich den nächsten Schock. Sie litten beide an Tuberkulose, und zumindest die Ältere sah aus, als wäre sie bereits dem Tode geweiht.
Wie konnte Aberdeen seine Frau und seine Töchter den Winter über bloß nach Schottland verdammen?, wütete James im Stillen. Das war absolut verantwortungslos von ihm. Die Winter hier sind viel zu kalt. Und überhaupt sehen die beiden aus, als hätten sie spätestens seit Oktober keinen Schritt mehr vor die Tür gewagt.
»Es ist so schön, dich wieder bei mir zu haben«, flüsterte seine Mutter, als sie neben James in dessen Kutsche saß und die karge Landschaft betrachtete. James hatte darauf bestanden, dass Harriet eine kleine Kutschfahrt mit ihm unternähme, allerdings hatte er sie zuvor fest in einige dicke Felle gehüllt, um sie vor der beißenden Kälte zu schützen. Er hoffte, dass die frische Luft seiner Mutter guttun würde. Leider aber schien der Ausflug ihr nur noch mehr von ihrer Kraft zu rauben, sodass er sie, als sie wieder vor Haddo House angelangt waren, ins Haus tragen musste.
Nachdem der Arzt Harriet seinen wöchentlichen Besuch abgestattet hatte, nahm James ihn mit entschlossener Miene beiseite und fragte freiheraus: »Meine Mutter meint, dass es bloß eine Bronchitis gewesen wäre, die ihr die Kraft geraubt hat und sie bisher daran hinderte, wieder nach London zurückzukehren. Aber das ist doch sicherlich nicht das Einzige, oder? Sagt mir die Wahrheit. Hat sie etwa auch noch die Schwindsucht?«
»Nun, ich würde sagen, es war in jedem Fall eine außergewöhnlich schwere Bronchitis, vielleicht sogar eine Lungenentzündung.« Der schottische Arzt zögerte einen Moment, ehe er fortfuhr: »Aber Ihr hattet nach der Wahrheit verlangt, Mylord, und die lautet nun einmal, dass sie sich von der Geburt ihres letzten Kindes nie wirklich erholt hat. Sie ist eine Halbinvalidin und wird dies auch für den Rest ihres Lebens bleiben.«
Ein scharfer Stich durchfuhr James’ Herz, so sehr schmerzte ihn die Wahrheit über den Gesundheitszustand seiner Mutter. »Aber warum hat sie sich denn nicht mehr erholt?«
»Das ist, wie man so schön sagt, eine Frauengeschichte. Den meisten Männern ist es lieber, wenn man sie nicht damit behelligt.«
»Ich bin aber nicht wie die meisten Männer, Doktor. Ich will wissen, was sie hat.«
Forschend schaute der Arzt James an. Dann erklärte er: »Sie hat zum einen eine Gebärmuttersenkung. Das ist eine der möglichen Folgen des Kinderkriegens. Zum anderen hat sie wahrscheinlich auch noch einen Tumor.«
Schmerzhaft zog sich James’ Herz zusammen. »Wie lange noch?«
»Schwer zu sagen, Mylord«, entgegnete der Arzt ausweichend. »Ein Jahr vielleicht... vielleicht auch zwei.«
James nickte. »Ich danke Euch, dass Ihr so ehrlich zu mir wart.«
Am nächsten Tag ließ der Wind ein wenig nach, und eine blasse Wintersonne streifte über die ersten zarten Knospen der Bäume. Warm eingewickelt spazierten Harriet und James durch den Garten.
»Du siehst heute richtig glücklich aus«, freute er sich.
»Ja. Das kommt, weil du mich glücklich machst.«
Zwei Tage später kehrte auch der Graf von Aberdeen zurück auf sein Anwesen. Für diesen Monat war nämlich die Schafschur geplant, und auch die Geburt von unzähligen Lämmern stand kurz bevor - und beides versprach ihm eine nicht unbeträchtliche Mehrung seines Vermögens. Die Gesundheit seiner Frau und seiner beiden ältesten Töchter hingegen schien für ihn nur von untergeordneter Bedeutung zu sein.
Zuerst war Aberdeen natürlich erstaunt, als er sah, dass auch Abercorn sich zurzeit in Haddo House aufhielt und seine Mutter besuchte. Schon bald aber wich das Erstaunen, und an dessen Stelle breitete sich ein höchst selbstzufriedenes Grinsen über sein Gesicht. Er konnte es kaum erwarten, Abercorn die Neuigkeiten mitzuteilen.
Doch noch ehe er den Mund öffnen konnte, rief seine Frau ihm auch schon entgegen:
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