Symphonie der Herzen
gerade einen Geist gesehen hättest.«
Louisa rang die Hände. »Ja, so ähnlich war es auch. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.«
»Fang einfach beim Anfang an.« Gelassen kletterte Georgy das Ufer hinauf und ließ sich auf der saftig-grünen Böschung nieder.
»Lanny hat heute mein Porträt fertiggestellt.« Louisa schluckte einmal. »Nachdem er den letzten Pinselstrich getan hatte, schlug ich ihm vor, das Bild Mutter zu zeigen. Wir sind also losgegangen, um sie zu suchen, und haben sie dann im Salon gefunden. Sie hatte gerade mit Rachel gespielt. Mutter fand das Bild sehr schön, und Rachel gluckste vergnügt, und es war gerade so richtig lustig, als plötzlich Bessy reinkam. Kannst dir ja vorstellen, dass sofort Eiszeit herrschte, wie immer, wenn sie den Raum betritt.
Zum Glück hat sie sich aber bald wieder verabschiedet, und auch ich bin kurz darauf wieder gegangen, um das Bild noch für ein Weilchen in meinem Zimmer aufzuhängen. Anschließend wollte ich einen Ausritt unternehmen. Genau in dem Moment, als ich durch den Ostflügel ging, hörte ich plötzlich die liebe Bessy, wie sie William die schrecklichsten Lügen über unsere Mutter erzählte.«
»Was auch immer sie ihm erzählt hat - er hat ihr mit Sicherheit nicht Paroli geboten, nicht wahr? Der hat doch Angst vor ihr!« Mit kämpferischem Blitzen in den Augen schaute Georgy ihre Schwester an. »Meiner Meinung nach hätte diese Frau mal ein paar schallende Ohrfeigen verdient.«
»Bei Gott!«, stimmte Louisa ihr zu. »Ich wäre auch beinahe reingegangen und hätte ihr welche verpasst. Denn sie hat doch allen Ernstes behauptet, Rachel sei Lannys und Mutters gemeinsames Kind! Ein Kind der Liebe, sozusagen. Bessy sagte, Rachels Locken wären der Beweis dafür, dass sie keine echte Russell sei. Diese gehässige Kuh meint, dass Mutter und Edwin eine Affäre haben und dass Rachel ihr gemeinsamer Spross ist!«
»Oje«, war alles, was Georgy dazu sagte. Dann seufzte sie einmal schwer und klopfte neben sich auf das Gras. »Komm, Lu, und setz dich zu mir. Denn, ehrlich gesagt, hatte ich das Gleiche gedacht.«
»Wovon um alles in der Welt redest du da?«
»Na, du weißt doch selbst, dass Vater schon über sechzig ist und dass der Schlaganfall ihm gehörig zugesetzt hat. Wenn du mich fragst, so weiß ich wirklich nicht, wie er in dem Zustand noch ein Kind gezeugt haben sollte.«
Louisa hatte das Gefühl, als ob sich mit einem Mal eine eiskalte Hand um ihr Herz schlösse. »Was sagst du da? Du meinst, dass Edwin Landseer Rachels Vater ist?«
»Alles, was ich sage, ist, dass Lanny offenbar vollkommen verrückt nach Mutter ist. Er hat schon mehr als ein Dutzend Porträts von ihr angefertigt - so viele wie von keinem anderen aus unserer Familie. Außerdem war er in genau dem Herbst mit uns in den Highlands, als Mutter mit Rachel schwanger wurde.«
»Du glaubst also, dass Lanny Mutter liebt ?« Louisa schrie regelrecht, so schockiert war sie.
»Schau dir die beiden doch bloß mal zusammen an. Wenn Mutter im Raum ist, nimmt Lanny keine andere Frau mehr wahr. Sie hat ihn regelrecht verhext - wie alle ihre Verehrer, möchte ich meinen.«
»Aber Lanny ist doch erst Mitte zwanzig. Und Mutter ist siebenundvierzig.«
»Na und? Ich bitte dich, Lu! Das Alter hat damit doch wohl nur herzlich wenig zu tun. Im Gegenteil sogar. Die meisten verheirateten Frauen haben Affären, wenn ihre Ehemänner langsam gebrechlich werden.«
Mit einem Mal fiel Louisa wieder das höchst intime Bild ein, dass Edwin von Georgina angefertigt hatte: das Bild mit den entblößten Brüsten. Abermals schienen sich die eisigen Finger in ihrem Brustkorb zu einer wütenden Faust zusammenzuballen, bis Lu glaubte, kaum noch Luft zu bekommen. Es war, als ob irgendjemand ihr das Herz zerdrücken wollte. Schluchzend erhob sie sich, wobei sie wie blind war vor lauter Tränen; nur gut, dass Huflattich auch von allein den Weg nach Hause fand.
Im Laufschritt stürmte sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf und riss das Bild von der Wand. Anschließend trug sie es in die Gemäldegalerie, wo sie es einfach in eine Nische stellte. Lu ahnte bereits, dass sie wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens keinen Farbgeruch mehr ertragen könnte, weil er sie stets an Edwin Landseer erinnern würde. Allein der Gedanke an Edwin reichte bereits aus, dass Lu sich am liebsten übergeben hätte.
3
Heute kommen die Jungs aus Oxford zurück. Ich hoffe bloß, dass sie ein paar ihrer Freunde mitbringen - sonst wird
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