Symphonie der Herzen
wärt.«
Unwillkürlich schien sich ein dicker Kloß in James’ Kehle zu bilden, und mit starrem Blick schaute er seine Mutter an. »Aber natürlich, Mutter. Wie dumm von mir, dass ich nicht selbst schon darauf gekommen bin.« Traurig schloss er sie einmal fest in die Arme, während er an Prinnys Beerdigung dachte. Louisa wird bestimmt auch da sein, dachte er betrübt, während er die Schultern straffte und seiner Mutter beruhigend versicherte: »Claud und ich werden gleich morgen früh nach Irland aufbrechen. Versprochen.«
8
Montagu House, London August 1894
Langsam löste die Herzoginwitwe Louisa sich von den Bildern aus der Vergangenheit und konzentrierte sich wieder ganz auf ihre Familie. Alle waren sie an diesem Tag gekommen, um mit Louisa auf ihr langes und ereignisreiches Leben anzustoßen.
»Ich danke dir, John Claud.« Durstig griff sie nach dem Glas, das ihr Sohn ihr reichte, und nippte einmal daran. Sie war ja so stolz darauf, dass er es bis zum Adjutanten der Königin geschafft hatte. »Trinkt Königin Victoria eigentlich auch so gern Champagner?«
»Nein.« John Claud schmunzelte verschmitzt. »Die Königin genießt lieber ein ordentliches Glas Whisky.«
»Ich erinnere mich.« Nun musste auch Louisa leise lachen. »Genau genommen hat sie diese Vorliebe sogar bei uns erworben. Ich meine, es wäre während ihres zweiten Aufenthalts bei uns in Schottland gewesen, als sie plötzlich ihre Leidenschaft für Whisky entdeckte. Im Übrigen habe ich auch dein peinliches Auftreten in jenen Tagen noch nicht vergessen.«
»Mutter, ich bitte dich. Wie alt war ich denn damals? Neun, wenn ich mich recht erinnere.«
»Eben! Somit warst du also in jedem Fall bereits alt genug, um zu wissen, dass man sich so nicht vor der Königin aufführt. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie peinlich es mir war, als man uns zur Audienz geladen hatte und du einfach so und aus dem Nichts heraus einen Kopfstand machtest. Noch dazu, wo du doch bloß einen
Kilt anhattest! Und dann, als ich dich ausschimpfte und man uns ausnahmsweise abermals eine Audienz gewährte, damit du dich entschuldigen konntest, was hast du da gemacht? Prompt noch einen Kopfstand!«
John Claud grinste. »Mutter, du hast wirklich ein bewundernswertes Gedächtnis.«
»Ein besseres jedenfalls als Königin Victoria. Ansonsten hätte sie dich sicherlich nicht zu ihrem Adjutanten berufen.«
»Das kann man nie wissen. Denn vielleicht hatte sie ja auch Gefallen an meinem Allerwertesten. Vielleicht durfte ich nur deswegen meinen Dienst bei ihr antreten!«
»Schon möglich. Warum sollte sie so viel anders sein als all die anderen Frauen, denen du im Laufe der Jahre den Kopf verdreht hast?« Scherzhaft schlug die Herzoginwitwe ihrem Sohn mit dem Fächer auf den Arm, als plötzlich jemand mit dem Messerrücken an sein Glas klopfte. »Pst! Ich glaube, hier will gerade jemand eine Rede halten. Bestimmt wieder mal solch ein langweiliger Lobgesang auf meine zahlreichen Tugenden.« Die Herzoginwitwe gluckste vergnügt und raunte schließlich: »Ich frage mich bloß, wann sie sich endlich einmal meinen Sünden zuwenden?« Dabei dachte sie flüchtig an Königin Victorias Gemahl, Prinz Albert, und verbarg dezent ein kleines Lächeln.
Louisa Jane, die Herzogin von Buccleuch, musste sich richtiggehend anstrengen, um trotz des lebhaften Geplappers und des allgemeinen Gläserklirrens noch gehört zu werden. »Wie ihr alle wisst, ist unsere liebe Mutter im Laufe ihres Lebens Zeugin einiger bedeutender geschichtlicher Ereignisse geworden -«
Ja, dachte Louisa, während sie ein wenig reumütig zu ihrer Tochter hinüberschaute. Vor allem habe ich zweimal hintereinander die Berufung zur obersten Kammerfrau der Königin abgelehnt, woraufhin du, liebe Louisa Jane, dieses grässliche Amt an meiner statt übernehmen musstest.
»Wusstest ihr zum Beispiel, dass unsere Mutter der einzige noch lebende Mensch in ganz England ist, der seinerzeit Gast im legendären Carlton House, der prachtvollen Residenz von König George IV., war?«
Abermals entführten Louisas Erinnerungen sie in die Vergangenheit und setzten sich über Raum und Zeit hinweg, als wären diese lediglich leere Luftblasen. Oh ja, sinnierte sie im Stillen. Der Tag, an dem der liebe George starb, ist mir wahrlich noch gut in Erinnerung. Und zwar nicht etwa deshalb, weil der arme alte Prinny plötzlich seine wassersüchtigen Zehen in die Luft streckte, sondern weil ich nur kurz zuvor meine Schwester und Abercorn in
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