Symphonie des Lebens
mir? Carola? Er verzog den Mund zu einer Grimasse. Auch bei ihr ist es kein Mitleid. Sie füttert in mir nur einen Automaten, aus dem sie sich die Liebe zieht. Sie bezahlt mich auf ihre Art. In Wahrheit bin ich nichts als eine männliche Hure.
Er zuckte mit den Schultern und schloß die Augen. Die Sonne blendete zu sehr.
*
Es kostete Carola nicht nur eine stundenlange Überredungskunst, sondern auch 2.000 Francs, bis sie Franco Gombarelli so weit hatte, daß er ein neues Konzert organisierte.
»Ich arbeite nicht mehr für diesen Verrückten, Signora!« rief Gombarelli und trank zur Auffrischung seiner Stimme einen Apéritif. »Und wenn Sie mir 10.000 bieten – ich tue es nicht.«
»Ich gebe Ihnen 2.000 und keinen Sou mehr. Und dafür werden Sie sich bemühen, auf meine Kosten wieder ein Orchester zu engagieren und einen Saal zu mieten. Diesmal in Monte Carlo.«
»Kompletter Wahnsinn! Verzeihung, Signora, aber es wäre besser, Sie stellten sich an eine Straßenecke und verteilten die Geldscheine. Dann kämen Sie wenigstens noch in die Zeitung.« Gombarelli zog den Schlipsknoten herunter und öffnete den Kragenknopf. Die Erregung verbreitete in ihm drückende Hitze. »Wen locken Sie mit einem Violinkonzert eines Unbekannten in Monte Carlo in einen Saal? Wenn man so etwas laut sagt, sperren sie einen sofort in die Anstalt. Monte Carlo! Soll ich dem Fürsten auch eine Einladung schicken?«
»Natürlich. Eine Freikarte.«
»Sie haben Humor, Signora.« Gombarelli lehnte sich zurück. Er resignierte. »Ihr junger Freund benimmt sich wie ein Wilder. Wirft Hocker nach mir und droht Mario Brandelli einen Totschlag an. Er kann spielen, zugegeben – aber er hat nicht die geringste charakterliche Reife und Festigkeit, um anders zu leben, als er es bisher getan hat. Als Freund schöner, reicher Frauen –«
»Sie sind geschmacklos, Gombarelli!« sagte Carola steif.
»Wie soll ich Ihnen sonst anders die Wahrheit sagen, Signora?«
»Sie sollen nicht reden – Sie sollen handeln. Hier.« Sie schob ihm einen Packen Geldscheine über den Tisch. Gombarelli sah sich konsterniert um. Sie saßen in der Halle des Golfhotels, aber Gott sei Dank stand ihre Sesselgruppe in einer Ecke und nicht im Blickfeld der anderen Gäste. Schnell griff Gombarelli zu und schob die Geldscheine in seine Tasche.
»2.000 Francs, zählen Sie nach«, sagte Carola hart.
»Ihnen glaubt man alles, Signora. Wozu nachzählen?«
»Und wann ist das Konzert?«
»So schnell wie möglich. Aber ich befürchte, Ihr kleiner Jean wird nicht wollen.«
»Das überlassen Sie mir. Mieten Sie einen intimen Saal, nicht mehr als vierhundert Sitzplätze.«
»Vierhundert!« Gombarelli hob den Blick an die Decke. »Wenn jeder zweite Sitz besetzt ist, wallfahre ich nach Lourdes und melde ein neues Wunder an –«
»Es werden vierhundert Zuhörer im Saal sein. Der Saal wird ausverkauft sein. Und wenn Sie die Karten verschenken.« Carolas Gesicht war hart, und ihr Blick duldete keinen Widerspruch. »Nach dem Konzert rechnen Sie mit Jean Leclerc den Überschuß der Einnahmen ab.«
»Ich werde wahnsinnig, Signora! Warum schenken Sie ihm das Geld nicht gleich? Wozu der Umweg?«
»Er soll das Gefühl haben, es verdient zu haben. Er soll an sich glauben lernen.«
»Und wozu? Braucht er das bei Ihnen? Was haben Sie davon?«
Carola sah Gombarelli erstaunt an. Zum erstenmal war sie ohne Antwort. Plötzlich aber erkannte sie auch, wie recht Gombarelli hatte. Warum das alles? Vor einem Virtuosen des Taktstockes war sie in ein neues Leben geflüchtet, und nun begann sie, einen neuen Virtuosen großzuziehen. Wenn ihr dies gelungen war, würde es genauso werden wie bei Donani … Reisen kreuz und quer durch die Welt, Proben, Konzerte, Empfänge, schlaffe Müdigkeit und erneutes Aufraffen am Morgen – denn es ging ja weiter … Proben, Konzerte, Empfänge … die Welt wollte Jean Leclerc hören … im Konzertsaal, im Fernsehen, im Rundfunk, auf der Schallplatte …
Carola strich sich nervös über die Augen. Daß ich daran nie gedacht habe, daß mich ein Mann wie Gombarelli darauf stoßen muß. Bisher hatte sie in Jean Leclerc nur die Jugend gesehen, die Leidenschaft des Liebhabers, den Zauber des Vergessenkönnens, ihr seliges Glück, das sie belohnen wollte mit Erfolg und Ruhm. Plötzlich sah sie auch die andere Seite, jenes Leben im Schatten des Ruhmes, dem sie entflohen war. Es ist genau wie damals, als ich Donani kennenlernte, dachte sie mit eisigem Schrecken. Ich war
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