Symphonie des Lebens
zerstört, alles! Die Illusion, die ich von der Liebe hatte, den Glauben an eine Zukunft, die Gemeinsamkeit von zwei Menschen, die alle Widerstände sprengt und alle Pläne Wahrheit werden läßt –«
»Pläne!« Jean schüttelte wie mitleidig den Kopf. »Du hattest Geld, das war alles! Und du hattest einen einflußreichen Mann. Darum warst du interessant, Chérie, nicht weil du eine schöne Frau bist. Schöne Frauen gibt's genug – nur kosten sie Geld. Du warst die Ausnahme, die Geld bringen sollte. Und was habe ich nun?« Jeans Stimme wurde quengelig wie bei einem boshaften Kind. »Der einflußreiche Donani ist fern wie der Mann im Mond, und aus der schönen, reichen Frau wurde –«
»Ich vergesse mich, wenn du weiterredest!« schrie Carola wild. Sie war mit zwei großen Schritten bei ihm vor dem Sessel und spreizte die Finger. Jean Leclerc zog den Kopf in die Schultern, als wolle er seinen Hals vor ihren Händen verstecken. Seine Augen begannen zu flimmern.
»Du hast mich gebraucht«, sagte er langsam. »Nicht ich dich. Du hast mich dafür bezahlt … hast du es nicht selbst gesagt? Wieviel Geld hast du noch? 30.000? 40.000? Wie lange reicht es? Du mußt anders kalkulieren, Chérie – ich bin teurer geworden –«
Carola schloß einen Moment die Augen. Sie kämpfte gegen die Versuchung, vorzustürzen und Jean zu töten. Mit den eigenen Händen … mit ihren Nägeln das höhnisch lächelnde Gesicht zerfleischen und dann zudrücken, den Kopf abgewandt, um ihn nicht ansehen zu müssen, um die großen Kinderaugen nicht erstarren zu sehen.
Kinderaugen –
Alwine und Babette.
Meine Kinder.
Die Gedanken zerstückelten sie innerlich. Sie warf den Kopf zurück und trat vom Sessel ins Zimmer. Jean atmete hörbar auf.
»Geh –«, sagte sie leise. Jean erhob sich und zog seinen Schlipsknoten gerade.
»So plötzlich?«
»Noch in dieser Minute!«
»Ich werde doch noch packen dürfen.«
»Nein!«
»Also, so geht es nun auch nicht!« Jean steckte die Hände in die Hosentaschen. Ein Zittern überfiel ihn. Vor dem Fenster stieg die Sonne aus dem Meer empor, ein runder, goldroter Ball. Es war, als stehe der Himmel in Flammen. »Wo soll ich denn hin?« fragte er laut.
»Dorthin, wo du eben hergekommen bist!«
»Das kostet Geld.« Jean schob wie ein trotziges Kind die Unterlippe vor. »Wir wollen es mal klar aussprechen, Chérie: Nicht ich bin für dich verantwortlich, sondern du für mich. Alles, was geschehen ist, ging von dir aus … die Tote in Berlin, die in deinem Wagen die verunglückte Carola Donani spielen mußte, die Gesichtsoperation, der falsche Paß … alles hast du getan.«
»Aus Liebe zu dir!« Carola wirbelte herum. »Ich war wahnsinnig! Wahnsinnig! Jetzt sehe ich es!« Sie rannte zu einem Schrank, riß eine Schublade auf und griff nach einem Papierbündel. Jean ging im Zimmer hin und her, mit gespitzten Lippen, als wolle er pfeifen. Seine Gedanken, von der letzten Alkohollähmung befreit, arbeiteten rasend. Es ist zu Ende, das ist nun sicher, dachte er. Irgendwie ist das eine Befreiung, aber, genau betrachtet, läuft es auf eine Katastrophe hinaus. Wovon soll ich leben? Zumindest die ersten Tage müssen gesichert sein, eine Woche, ein Monat. In dieser Zeit würden sich neue Quellen entdecken lassen.
Er blieb stehen, suchte in den Taschen und klimperte mit ein paar Francstücken. »Das ist alles, was ich habe«, sagte er frech und hielt die Hand auf. »Ein armer Musiker bittet um eine milde Gabe. War ich nicht – immer fleißig …?«
Carola umkrallte die aus der Schublade gerissenen Papiere. Was ist aus mir geworden, schrie es in ihr. Mein Gott, kann es noch tiefer hinabgehen als mit mir? Wie gerecht und wie schnell du strafen kannst …
»Ich werde dir alles nachzahlen«, sagte sie dumpf. »Du sollst nicht das Gefühl haben, auch nur eine Stunde Liebe unterbezahlt geopfert zu haben. Hier –« Sie hob beide Hände und öffnete sie. Die Augen Jeans weiteten sich. Geldscheine. Sie hat einen dicken Packen Geldscheine in den Händen. Lauter Hundertfrancsscheine. Er machte einen Schritt auf sie zu, aber sie kam ihm entgegen, und als er ihre Augen sah, diese vor Erregung und Haß blitzenden Augen, ließ er die Arme sinken.
»Ich will zahlen!« schrie Carola plötzlich mit greller Stimme. Sie riß einen Schein aus dem Packen und warf ihn Jean ins Gesicht. »Da – für eine Nacht! Und für die zweite! Die dritte … die vierte – fünfte –« Bei jedem Wort warf sie ihm einen
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